Seelenglanz
die beiden Ratten dieses territoriale Gehabe hatten. »Ich will nur mit dir reden, mehr nicht.«
»Du hast auch so schon genug Schaden angerichtet, ohne dass du noch zusätzlich den gesprächigen Stalker geben musst.«
Wenn ich von Anfang an gewusst hätte, dass Jules kein Junge war, wäre ich unsere Begegnungen vollkommen anders angegangen und hätte sie mit meinem Charme eingewickelt. Nach diesem Fehlstart machte ich mir nicht mehr viel Hoffnung, dass mein Charme jetzt noch seine Wirkung entfalten würde. Versuchen wollte ich es trotzdem. Ich bedachte sie mit einem warmen Lächeln und stellte einen Gesichtsausdruck zur Schau, der mich nicht nur harmlos wirken lassen, sondern auch meine Schokoladenseite präsentieren sollte. Gutes Aussehen war im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht noch nie von Nachteil gewesen. Im Gegenteil: Mit meinem Aussehen und meiner Fähigkeit, den Frauen zu sagen, was sie hören wollten, hatte ich bisher noch jede dahin bekommen, wo ich sie haben wollte – und das waren allesamt andere Kaliber als dieses unerfahrene Mädchen, das kaum dem Teenageralter entwachsen zu sein schien.
»Es tut mir wirklich leid«, sagte ich und unterstrich meine Worte mit einem offenen Blick. »Ich weiß, dass ich hier nicht einfach hätte auftauchen dürfen, aber was ich dir zu sagen habe, ist wirklich wichtig.«
»Das ist nicht dein Ernst!« Sie wollte noch mehr sagen, rang nach Worten, doch abgesehen davon, dass sie den Mund immer wieder auf und zu machte, kam nichts mehr. Stattdessen riss sie das Kreuz, das am Kopfende über demBett hing, von der Wand und hob es in die Höhe. »Verschwinde!«
Ich hatte alle Mühe, mir das Lachen zu verbeißen und meine charmante Miene weiterhin beizubehalten. »Ich bin doch kein Vampir«, sagte ich. »Damit kannst du mir gar nichts!«
Offensichtlich vertraute sie meinen Worten nicht. Das Kreuz noch immer erhoben kam sie näher und schaffte es dabei, auf der Matratze, die unter ihren Schritten wankte wie ein in Seenot geratenes Ruderboot, das Gleichgewicht zu halten. Am Fußende blieb sie stehen, keine Armlänge von mir entfernt. »Hau. Endlich. Ab.«
Allmählich ging mir die Geduld aus. Auch wenn ich nicht umhinkonnte, ihr eine gewisse Bewunderung dafür zuzugestehen, dass sie sich nicht in einen hysterischen Anfall geflüchtet hatte, sondern stattdessen zum Angriff übergegangen war. »Süße, hör mir zu.«
»Süße?« Sie holte aus, und bevor ich reagieren konnte, zog sie mir das Kreuz über den Schädel.
»Au!«
»Siehst du!«, rief sie triumphierend. »Es wirkt auch bei Nichtvampiren!«
Ich weiß nicht, was sie getan hätte, falls ich geblieben wäre. Sie wäre garantiert durchgedreht, wenn ich mich auf eine andere Ebene zurückgezogen hätte, auf der sie mich zwar sehen, mich aber weder berühren noch mit ihrem Holzkreuz treffen konnte. Es war jedoch ein langer Tag gewesen und mir stand nicht der Sinn nach Spielchen, deshalb wich ich einen Schritt zurück. »Wenn du bereit bist mir zuzuhören – ich warte auf dem Dach auf dich.«
Dann versetzte ich mich vor ihren Augen aus dem Zimmer.
10
Der Eindringling war längst verschwunden, trotzdem stand Jules noch minutenlang mit erhobenem Kreuz auf dem Bett. Den Rücken an die Wand gepresst ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen aus Angst, er könnte jeden Moment zurückkehren und sie aus dem Hinterhalt angreifen. Endlose Minuten verstrichen, bis sie zu dem Schluss gelangte, dass er nicht kommen würde.
Ich warte auf dem Dach auf dich.
Jules hängte das Kreuz wieder an den Nagel und sprang vom Bett. Ganz sicher würde sie ihm nicht auf das Dach folgen. Sie war wild entschlossen, seine Worte zu ignorieren und wieder ins Bett zu gehen, zumindest so lange, bis ihr bewusst wurde, dass dieser Kerl sie mit großer Wahrscheinlichkeit weiter verfolgen und – schlimmer noch – jederzeit wieder in ihrem Zimmer auftauchen konnte. So wie es aussah, gab es keinen anderen Weg, als ihn zur Rede zu stellen. Oder sich anzuhören, was er zu sagen hatte.
Als wäre der Tag nicht schon beschissen genug gewesen. Erst die Begegnung mit Hudson und die idiotische Idee mit ihm für Geld … Keine drei Minuten nachdem die Wohnungstür hinter ihr zugefallen war, hatte sie schon unter der Dusche gestanden, um sich die Erinnerung an das, was sie um ein Haar getan hätte, abzuwaschen. Auch wenn sie sich sonst Mühe gab, Wasser zu sparen, heute hatte sie es nicht über sich gebracht, die angenehme Wärme hinter sich zu lassen, ehe
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