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Seelenglanz

Seelenglanz

Titel: Seelenglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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hatte. Keine Ahnung, ob das hilfreich oder hinderlich gewesen war. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen machte es wohl keinen Unterschied.
    Ich trat einen Schritt auf sie zu und hielt ihr die Hand entgegen. Eine Weile musterte sie erst mich, dann meine Hand so argwöhnisch, als fürchtete sie, ich wollte ihr einen bösen Streich spielen. Schließlich streckte sie ihren Arm aus, ich schloss meine Finger um ihre Hand und half ihr auf die Beine. Sofort wich sie einen Schritt zurück.
    Sie starrte mich immer noch an.
    Und sie hatte einen Baseballschläger in der Hand, den sie wie eine Barriere zwischen uns hielt. Sie war entschlossen,mir entgegenzutreten, was entweder ein Zeichen großen Mutes oder großer Dummheit war. Sie war einen halben Kopf kleiner als ich, ihre Haltung und ihr gesamtes Auftreten sollten sie stark und unbeugsam erscheinen lassen. Womöglich funktionierte das auch bei den meisten Menschen. Ich sah jedoch nur, wie zerbrechlich sie hinter dieser Maske der Stärke wirkte. Es war nicht allein ihre zierliche Gestalt, von der ich unter den weiten Klamotten kaum etwas erkennen konnte, vielmehr war es etwas in ihren Augen, eine Verletzlichkeit, die sie hinter der Angriffslust zu verbergen versuchte. Wie eine unsichtbare Last, die ihr Leben überschattete.
    Der Ausdruck in ihren Augen war es auch, der mich dazu bewegte, still zu verharren. Schweigend stand ich vor ihr, die Flügel gespreizt, und stellte mich – nicht ohne Stolz – ihrer andauernden Musterung.
    Ich versuchte in ihren Zügen lesen, wie meine Erscheinung auf sie wirken mochte, doch in ihrem Gesicht fand ich weder Furcht noch Ehrfurcht. Vielmehr wirkte sie konzentriert. Sie hatte die Augenbrauen zusammengekniffen und ließ ihren Blick unablässig über meinen Körper wandern, als versuchte sie etwas Wichtiges zu begreifen. Je länger sie mich ansah, desto mehr Mühe hatte ich, mir ein Grinsen zu verkneifen. Ich musste plötzlich daran denken, wie sie mir mit erhobenem Kreuz entgegengetreten war und bewiesen hatte, dass es mir – Vampir hin oder her – doch schaden konnte. Zumindest hätte es wehgetan, wenn sie fest genug zugeschlagen hätte. Die ganze Situation war einfach grotesk. Ein Mädchen, das ich für einen Jungen gehalten hatte und das weniger Mensch war, als es ahnte, und ein vermeintlicher Selbstmörder, der ihr mit gespreizten Schwingen gegenüberstand.
    Ich ließ ihr Starren über mich ergehen, nicht ohne michzu fragen, ob sie derart offene Blicke bei einem normalen Mann ebenfalls gewagt hätte. Fast schon kam ich mir vor wie ein Stück Fleisch, das von allen Seiten angegafft wurde. Fehlte nur noch, dass sie mich umrundete, um sich meinen Hintern anzusehen, oder meine Zähne prüfte. Um ihr ein Gefühl dafür zu geben, wie es war, derart angestarrt zu werden, unterzog ich sie nun ebenfalls einer eingehenden Betrachtung, blieb mit meinem Blick jedoch in ihrem Gesicht hängen. Ihre Augen waren grau wie ein Gewitterhimmel, um ihre Nase herum entdeckte ich ein paar Sommersprossen, bei denen ich mich fragte, woher sie kamen, denn obwohl ihre Haut leicht gebräunt war, hatte ich nicht den Eindruck, als bliebe ihr viel Zeit, in die Sonne zu gehen. Ihre Lippen waren voll und hübsch geschwungen, wenn auch ein wenig farblos. Ohne die Müdigkeit in ihren Zügen, die ihr die Frische und Unbeschwertheit nahm, und in ein paar hübscheren Klamotten hätte sie vermutlich ganz nett ausgesehen.
    Sie ließ den Baseballschläger sinken.
    »Was bist du?«, brach sie endlich das Schweigen.
    Ich verdrehte die Augen. »Du starrst mich seit drei Minuten an und dann ist das deine erste Frage?« Ich spreizte meine Flügel noch weiter und bewegte die Schwungfedern. »Ist es nicht offensichtlich, was ich bin? Interessiert dich nicht viel mehr, warum du mich sehen kannst?«
    »Das liegt doch auf der Hand.«
    »Ach ja?«
    »Ich muss sterben, und du bist gekommen, um mich zu holen.«
    Der Engel des Todes. Sie war beileibe nicht die Erste, die mich dafür hielt. »Ihr Menschen könnt einem mit eurem Schubladendenken ganz schön auf die Nerven gehen«, sagte ich abfällig. »Schwarze Flügel bedeuten den Tod. Wären sieweiß, würdest du vermutlich davon ausgehen, dass ich dich in den Himmel bringe oder dir einen Wunsch erfülle wie ein Flaschengeist. Aber Schwarz ist von Natur aus böse.« Ich hatte mich regelrecht in Rage geredet, weshalb ich mich nun auch nicht mehr bremsen konnte und zornig hinzufügte: »Ihr seid doch alle beschissene

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