Seelenglanz
Leibhaftigen nennt. Und nein, bevor du jetzt wieder grün anläufst, der Kerl im Park war nicht der Morgenstern, sondern nur Shandraziel, einer seiner Handlanger. Niederes Fußvolk, wenn du es so willst.« Plötzlich fragte ich mich, ob ich für Luzifer ebenfalls zum Fußvolk gehörte oder ob ich tatsächlich einen höheren Rang bekleidete, wie es mir als seiner rechten Hand zustand. Ichverscheuchte den Gedanken jedoch schnell wieder. »Okay, pass auf, das alles ist nicht so leicht zu erklären und es hat etwas damit zu tun, weshalb ich gekommen bin. Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten?«
»Wir können …« Sie blickte unschlüssig in Richtung der Feuerleiter.
»Zu dir? Nein!« Ganz bestimmt würde ich mich nicht in ihr kleines Zimmer quetschen und ihr von Himmel und Hölle erzählen, während nebenan ihre besoffene Mutter lag und mich diese aggressiven Kampfnager von der Seite anmaulten. Vorhin wäre ich noch willens gewesen, das Gespräch dort zu führen, jetzt jedoch, nachdem es so aussah, als würde sich unsere Unterhaltung länger hinziehen, als ich ursprünglich geplant hatte, erschien es mir keine gute Idee mehr zu sein.
»Komm her«, verlangte ich und hielt ihr meine Hand entgegen.
Zu meinem Erstaunen zögerte sie nur kurz, dann ließ sie den Baseballschläger fallen und kam zu mir. Als sie den Arm ausstreckte, griff ich zu. Ihren erschrockenen Aufschrei ignorierend zog ich sie zu mir heran und schlang meinen Arm um ihre Taille. Sobald ich sie berührte, versteifte sie sich. Ich wäre gerne geflogen, fürchtete aber, dass sie dann doch noch hysterisch werden würde. Deshalb ließ ich meine Flügel verschwinden und versetzte mich mit ihr.
Wir landeten in einer düsteren Seitenstraße zwischen einem Müllcontainer und einem Obdachlosen, der es sich daneben in einem Stapel leerer Pappkartons bequem gemacht hatte. Der Kerl schlief tief und fest und bemerkte nichts von unserer Anwesenheit, obwohl weder Jules noch ich unsichtbar waren.
Sofort befreite sie sich aus meiner rein geschäftlichen Umarmung und ging auf Abstand. Ihr Blick wanderte durchdie Gasse, schweifte zwischen dem Obdachlosen und den Mülltonnen hin und her. »Das ist deine Vorstellung von einem ruhigen Ort für eine Unterhaltung?« Hätte ich nicht den aufgeregten Herzschlag aus ihrer Stimme herausgehört, wäre ihr ihre Nervosität kaum anzumerken gewesen. In Anbetracht der Tatsache, dass ich sie gerade von einem Ort an einen anderen versetzt hatte, hielt sie sich tapfer. »Vielleicht liege ich mit meiner Theorie über Schwarz und Weiß doch nicht so verkehrt.«
Okay, diesen Kommentar hätte sie sich sparen können. »Um die Ecke ist ein Coffeeshop, der die ganze Nacht geöffnet hat. Und ich habe Glück – die haben auch schwarzen Kaffee.«
Ich packte sie bei der Hand und zog sie hinter mir her aus der Gasse. Bei jedem Schritt fragte ich mich, warum ich mir das überhaupt antat. Ich verfluchte Akashiel dafür, dass er mir diesen Auftrag aufs Auge gedrückt hatte. Er wusste genau, dass mir solche Aufgaben nicht lagen. Das hier war ungefähr so ätzend wie die Fälle, bei denen wir jemandem mit unserer Anwesenheit Trost spenden sollten. Mir lagen eher die Hin-retten-und-schnell-wieder-weg-Aufträge. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr wuchs in mir der Verdacht, dass Akashiel mich nicht ohne Hintergedanken losgeschickt hatte. Er wusste, wo meine Talente lagen – und was ich nicht leiden konnte. Vermutlich erhoffte er sich, dass ich durch diesen Auftrag meine weiche Seite entdecken würde.
»Da kannst du lange warten, Kumpel!«
»Was?«
Erstaunt darüber, dass ich meine Gedanken laut ausgesprochen hatte, schüttelte ich den Kopf. »Nichts.«
Wir hatten die Ecke erreicht und bogen nach links ab. Die Straße lag verlassen da, die Lichter hinter den Fensternwaren erloschen, selbst die grell erleuchteten bunten Werbeschriftzüge, die einem sonst von allen Seiten ins Auge stachen, hüllten sich in Dunkelheit. Nur aus Bernies Cakes ’n Coffee fiel noch Licht auf die Straße. Ich kam oft hierher, meistens, nachdem ich stundenlang durch die Nacht geflogen war. Der Kaffee hier war stark und heiß und der Kuchen unschlagbar.
Das kleine Glöckchen über der Tür kündigte unsere Ankunft an. Drinnen empfingen uns brummende Neonröhren und der Geruch von frischem Kaffee. Ich lotste Jules durch den verlassenen Laden zu einer Sitzecke am Fenster. Wir hatten uns kaum gesetzt, als Bernie – angelockt vom Klang des Glöckchens –
Weitere Kostenlose Bücher