Seelenglanz
jene unnatürliche Stille, die entstand, wenn wir eine Kuppel des Schweigens um uns legten. Nur dass er sich nicht mit einer Kuppel zufriedengab. Seine Kraft umfasste weit mehr, sie lähmte mich, hinderte mich daran, mich weiter voranzubewegen. War ich eben noch gerannt, so fühlte sich der nächste Schritt an, als kämpfte ich mich durch tosende Wassermassen … einen übernächsten Schritt gab es nicht. Ich blieb einfach mitten in der Bewegung stecken. Nicht einmal sprechen konnte ich.
Der Gefallene, der mich hatte erstarren lassen, grinste mich an. Ich kannte ihn vom Sehen, konnte mich jedoch nicht an seinen Namen erinnern. Egal, wenn ich hätte sprechen können, hätte ich ihm ohnehin ein paar neue Namenverpasst. Welche, die in meinem Schimpfwörterbuch unter der Rubrik »Ganz besonders widerwärtige Ausdrücke« vermerkt waren.
Als hätte er nicht schon genug angerichtet, wurde sein Grinsen noch eine Spur breiter. »Vielen Dank für den Tipp.« Er sprach die Worte laut und über die Maßen deutlich aus, als wollte er sichergehen, dass sie auch verstanden wurden.
Und das wurden sie.
»Verräter!«, spie Japhael aus.
Der Anführer der Gefallenen nickte einem seiner Männer zu, woraufhin dieser sein Schwert hob und Japhael niederschlug. Der Oberste Schutzengel sackte zusammen, und die Gefallenen waren verschwunden, ehe sein Körper den Boden vollends berührte.
Die Kuppel, die der Gefallene über uns gelegt hatte, fiel in sich zusammen, doch die Stille dauerte noch immer an. Dieses Mal war es die Stille eines gottverlassenen Ortes.
Camael lag nicht weit von Japhael entfernt, sein Körper zu Eis erstarrt. Im Gegensatz zu Muriel und Ruchiel mochte er nicht in Stücke zersprungen sein, sein Leben hatte dennoch ein Ende gefunden.
Die zersplitterten Überreste der beiden anderen Schutzengel knirschten unter meinen Sohlen, als ich zu Japhael lief. Ein Geräusch, das ich schon unzählige Male nach einem Kampf gehört hatte und das mir niemals so viel Angst eingejagt hatte wie jetzt.
Japhael hatte mich einen Verräter genannt. Mal davon abgesehen, dass er damit recht hatte, schien es ganz in der Absicht des Gefallenen gewesen zu sein, dass das geschah. Diese ganze Aktion hatte nur ein Ziel: mich als Verräter zu brandmarken.
Warum sonst hätten sie Japhael und mich als Einzige amLeben lassen sollen? Den Verräter und den einzigen Engel, der bezeugen konnte, was passiert war!
Mein über die Jahrtausende entwickelter Überlebensinstinkt riet mir, Japhael zu töten und zu verschwinden. Vielleicht konnte ich die übrigen Schutzengel davon überzeugen, dass uns keine Chance geblieben war und dass ich nur hatte entkommen können, indem ich mitten im Kampf das Weite gesucht hatte.
Der Oberste Schutzengel lag wehrlos unter mir. Blut sickerte aus einer Platzwunde an seiner Schläfe, lief ihm über die Wange und tropfte zu Boden. Statt ihm mein Schwert in den Leib zu stoßen, legte ich zwei Finger an seinen Hals auf der Suche nach seinem Puls. Er war am Leben. Unter seinen geschlossenen Lidern bewegten sich die Pupillen, zuckten von einer Seite zur anderen. Jeden Moment würde er zu sich kommen. Dann würde er alles daransetzen, dass mir die himmlische Gerichtsbarkeit nicht nur meine Flügel ausriss und mich erneut verstieß, sondern mich augenblicklich hinrichtete.
Ich hätte mich aus dem Staub machen, zu Luzifer zurückkehren und meinen Auftrag als gescheitert erklären können, doch in Gedanken suchte ich fieberhaft nach einem Weg, nicht nur meinen Arsch, sondern auch meine Tarnung samt Auftrag zu retten. Es gab nur eine Möglichkeit – ich brauchte einen Verbündeten.
Japhael regte sich bereits, als ich mich vom Schlachtfeld wegversetzte. Das Letzte, was ich sah, bevor ich Akashiels vertrauter Signatur folgte, waren die zerschmetterten Überreste von Ruchiel und Muriel, die wie Diamanten im Mondlicht glitzerten.
15
Einen Herzschlag später fand ich mich in Akashiels Arbeitszimmer wieder.
Er saß hinter seinem Schreibtisch, offensichtlich gerade in ein Gespräch mit Miles vertieft, dem Nephilim, der seit Kurzem als Assistent für ihn arbeitete. Als ich ohne Anmeldung hineinplatzte, sah er erstaunt auf – für gewöhnlich machte ich mich durch etwas bemerkbar, was sich wohl am ehesten mit einem Klopfen vergleichen ließ, und wartete auf das offizielle Herein, ehe ich seiner Signatur folgte. Es war ein Zeichen der Höflichkeit und des guten Willens. Beides Dinge, für die ich im Augenblick keine Zeit hatte.
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