Seelenglanz
nur Freunde unter den Gefallenen«, begann ich vorsichtig, nicht sicher, wie viel ich sagen sollte. Dann jedoch wurde mir bewusst, dass die Ereignisse der letzten Monate die perfekte Begründung waren. »Seit ich …«
… die Seiten gewechselt habe, hatte ich sagen wollen, besann mich jedoch anders. »Seit mir vergeben wurde, sind die Gefallenen nicht länger meine Verbündeten. Einige von ihnen werten meinen Weggang vielleicht als kriegerischen Akt –besonders jene, die mir schon nicht sonderlich wohlgesinnt waren, als ich noch auf ihrer Seite stand.«
»Du hast also niemand bestimmten in Verdacht?«
»Doch.« Wenn ich Akashiel als meinen Verbündeten wollte, musste ich mit der Wahrheit herausrücken. Zumindest mit so viel Wahrheit wie nötig. »Sein Name ist Shandraziel. Er ist einer von Luzifers …«
»Ich weiß, wer das ist.«
»Wir waren nie die besten Freunde, und dass ich ihn daran gehindert habe, der Nephilim ihre Seele abzuschwatzen, hat ihm wohl nicht sonderlich gefallen.«
»Was?« Akashiel fuhr auf. »Warum hast du nicht gesagt, dass jemand hinter Jules’ Seele her war?«
»Das Thema war durch«, sagte ich mit einem Schulterzucken. »Ich dachte, er würde es sportlich nehmen. Wie hätte ich denn ahnen sollen, dass er so nachtragend sein würde?«
Akashiel war so aufgebracht, dass ich mich entschied, den Teil, in dem es um die seit Langem andauernde Rivalität zwischen Shandraziel und mir ging, erst einmal unter den Tisch fallen zu lassen. Aus irgendeinem Grund hatte mir Shandraziel den Krieg erklärt, und mein Gefühl sagte mir, dass es besser war, andere so weit wie möglich aus dieser Geschichte herauszuhalten.
»Warum hat Shandraziel, oder wer auch immer dahintersteckt, dir nicht einfach irgendwo aufgelauert und dich umgelegt?«
»So arbeitet er nicht.«
»Aha, und wie arbeitet er dann?«
»Gerissen und hinterhältig«, erklärte ich. »Wenn er mich als Verräter hinstellt, würde mich entweder Japhael selbst umbringen oder …«
»Das würde er niemals tun«, widersprach Akashiel.
»Muss ich dich schon wieder daran erinnern, dass er esbei Rachel getan hätte, ohne mit der Wimper zu zucken?« Es war Japhaels Auftrag gewesen, die Erweckung der Riesen zu verhindern, deshalb hatte er in der Höhle den Befehl gegeben, Rachel zu töten, bevor sie den Stein berühren konnte. Ein Befehl, den Akashiel ihm immer noch nicht verziehen hatte.
Akashiel sagte nichts. Der Bleistift bewegte sich jetzt schneller unter seinen Fingern über die Tischplatte.
»Nehmen wir einmal an, Japhael hätte seine Wut unter Kontrolle gehabt und mir meine gerechte Strafe für den Verrat zukommen lassen«, spekulierte ich weiter. »Ein Verrat, den ich übrigens nicht begangen habe. Was wäre die Strafe gewesen?«
»Sie hätten dir die Flügel ausgerissen und dich erneut verstoßen.«
»Bingo!« Bei dem bloßen Gedanken, meine Flügel wieder zu verlieren, überlief mich ein Schauder. Selbst Monate nachdem ich meine Schwingen zurückbekommen hatte, war der Schmerz, den mir die vernarbten Stümpfe über all die Jahrtausende bereitet hatten, noch genauso gegenwärtig wie das Gefühl des Verlustes, das ich so lange mit mir getragen hatte. Erst seit ich sie zurückhatte, fühlte ich mich wieder vollständig. Rasch schob ich die Erinnerung beiseite. »Und mit welchem Ergebnis?«
Schlagartig kam Akashiels Hand zum Stillstand. Das Rattern des rollenden Bleistifts verstummte. »Du wärst deinen Feinden ausgeliefert gewesen. Sie hätten dir jederzeit auflauern und mit dir machen können, was sie wollen, ohne die Rache der Engel fürchten zu müssen.«
So wie er das sagte, tat ich mir beinahe selbst leid. Glücklicherweise war Shandraziel mein einziger Feind. Die paar Handlanger, die er für sich gewinnen konnte, mochten zwar seine Anweisungen befolgen, wären aber schnell wieder aufKurs zu bringen, wenn Luzifer erst von Shandraziels eigenmächtigem Vorgehen erfuhr. Mit Shandraziel würde ich selbst fertigwerden.
»Deine Überlegung hat nur einen Schönheitsfehler«, wies ich ihn auf das Offensichtliche hin. »Durch diesen Angriff und den Tod von Muriel und den anderen beiden haben sie die Aufmerksamkeit der Engel auf sich gezogen.«
Akashiel ballte die Hände zu Fäusten. »Es hat im Laufe der Jahrtausende immer wieder kleinere Scharmützel mit einer Handvoll Toter gegeben. Auch wenn der Tod unserer Leute bedauerlich ist und eine große Lücke in den Reihen der Schutzengel hinterlässt, so ist er für Oben nicht wichtig
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