Seelenglanz
Kyriel.«
Ich wusste wirklich nicht, was ich darauf noch erwidern sollte. Alles, was ich verspürte, war der unwiderstehliche Drang, ihm meine Faust zwischen die Augen zu donnern. Doch ich beherrschte mich und sagte nur: »Na, dann viel Glück.«
Japhael, dessen weißes Haar im Mondlicht mit dem Gipfel des Mount Rainier um die Wette leuchtete, öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Zweifelsohne nichts Freundliches, trotzdem würde ich es nie erfahren, denn bevor die Worte über seine Lippen kamen, manifestierten sich mehrere Gestalten um uns herum.
Sie kamen so schnell, dass ich keine Gelegenheit hatte zu reagieren. Mir blieb lediglich Zeit festzustellen, dass sie uns zahlenmäßig mindestens zwei zu eins überlegen waren, dann stürmten sie auch schon auf uns ein.
Muriel und Ruchiel fielen unter ihren Speeren aus Eis, bevor wir überhaupt die Chance hatten, unsere Waffen entstehen zu lassen. Die kraftvolle Berührung durch die Speere ließ ihre Körper zu Eis erstarren. Von der Wucht des tödlichen Angriffes mitgerissen wankten sie und kippten zu Boden, wo sie unter lautem Krachen in Tausende Splitter zersprangen.
Meine Augen wanderten über die unregelmäßige Kampfreihe, zu der sich unsere Gegner formiert hatten. Zwei, drei, vier … Insgesamt zählte ich zehn, allesamt mit ähnlichen Waffen, wie ich sie zu tragen pflegte. Waffen aus Eis, gehüllt in kalten, nebligen Glanz.
Gefallene , schoss es mir durch den Kopf.
Verflucht, ich konnte doch nicht meine eigenen Leute angreifen! Gleichzeitig war es unmöglich, es nicht zu tun, wenn ich meine Tarnung nicht gefährden wollte.
Wie konnte Luzifer einen derartigen Überfall zulassen?
Ich ließ mein Schwert in meiner Hand entstehen undrichtete mich mit erhobener Klinge zu voller Größe auf. Ich war kein Krieger, meine Talente lagen eher auf dem Gebiet der verdeckten Operationen, trotzdem war ich durchaus in der Lage, mich im Kampf zu behaupten. Und in diesem Fall war ich sogar bereit, meine eigenen Leute zu erschlagen. Himmelarsch, ich musste es tun! Luzifer ließ mir keine andere Wahl, wenn ich noch in der Lage sein wollte, seinen Auftrag auszuführen.
Japhael und Camael bezogen rechts und links von mir Stellung, doch sie hielten sich nicht auf einer Linie mit mir, sondern blieben hinter mir zurück. Offensichtlich hatte Japhael seine Gelegenheit erkannt. Wenn mich die Gefallenen umbrachten, war er mich los. Ließen sie mich am Leben, war es der Beweis für ihn, dass ich noch immer zu ihnen gehörte. So oder so: Ich konnte nur verlieren.
Warum war Japhael überhaupt noch hier? Fürchtete er, die Gefallenen könnten ihm folgen und ihn erneut angreifen, wenn er sich jetzt versetzte? Oder wollte er lediglich sichergehen, dass sie mich erledigten, bevor er sich aus dem Staub machte?
Es war mir noch immer vollkommen schleierhaft, was Luzifer mit diesem Angriff bezwecken wollte. Wir hatten unzählige bessere Gelegenheiten gehabt, um Japhael und eine Handvoll seiner Engel auszuschalten, doch wir hatten es nie getan. Luzifer wusste, dass es eines Tages zur unvermeidlichen Schlacht kommen würde, doch bis dahin ging er Kämpfen, wann immer es möglich war, aus dem Weg. Allein schon, um nicht Gefahr zu laufen, dass von Oben ein Gegenschlag geführt wurde, der all unsere Pläne zunichtemachen konnte, ehe wir unsere Spielfiguren in Position gebracht und unsere Vorbereitungen abgeschlossen hatten. Unser Problem war, dass wir Gefallene den Engeln zahlenmäßig noch immer mehr als unterlegen waren. Weshalb einAngriff wie dieser auch eine ausgesprochene Dummheit war!
Für die Gefallenen, die nun mit erhobenen Schwertern näher rückten, gab es nur eine Erklärung: Sie handelten nicht im Auftrag des Morgensterns.
Aber wer steckte dann dahinter?
Mir blieb keine Zeit für weitere Spekulationen. Die Gefallenen hoben ihre Waffen und stürmten unter lautem Gebrüll vor. Ein Speer zischte an mir vorüber und streckte Camael nieder, dann waren die Krieger an mir vorbei.
Diese Arschlöcher liefen einfach an mir vorbei!
Sie drängten Japhael von mir ab. Im Nu hatten sie ihn umzingelt und entwaffnet. Scheiße, was sollte ich jetzt tun? Es gab nur einen Weg. Ich musste angreifen. Musste versuchen Japhael da rauszuhauen.
Ausgerechnet.
Mit erhobenem Schwert stürmte ich los, als sich einer der Gefallenen mir zuwandte. In einer ausholenden Geste hob er die Hände. Schlagartig wurde es still. Keine Stille, die durch Ehrfurcht oder ähnlichen Blödsinn hervorgerufen wurde, sondern
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