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Seelenglanz

Seelenglanz

Titel: Seelenglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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das herausfand, würde er sie vermutlich aus bloßer Wut umbringen.
    Eine Bewegung im Rücken des Räubers lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. Shandraziel lehnte hinter dem Maskierten an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt, und beobachtete die Szene, als wäre das alles nichts weiter als ein Schauspiel, das er zu bewerten gedachte.
    »An deiner Stelle würde ich tun, was er sagt«, bemerkte der Gefallene. »Der Kerl sieht nicht aus, als ließe er mit sich spaßen.«
    Jules wartete darauf, dass der Maskierte herumfuhr und Shandraziel angriff, doch der schien nicht einmal zu bemerken, dass er da war. Natürlich nicht.
    Als Jules sich nicht rührte, griff der Maskierte mit der freien Hand in ihre Jackentasche. Er zog das Pfefferspray heraus und ließ es auf das Pflaster fallen, dann griff er in die andere Tasche. »Wo ist dein scheiß Geldbeutel?«, schnappte er, als er auch hier nicht fündig wurde.
    Sie ließ die Umhängetasche von ihrer Schulter gleiten und hielt sie ihm hin. »Innenfach.« Die Zunge klebte ihr am Gaumen fest, sodass ihr selbst dieses eine Wort Schwierigkeiten bereitete.
    »Mach sie auf«, forderte der Maskierte, ohne das Messer von ihrer Kehle zu nehmen.
    Mit zitternden Fingern fummelte Jules am Verschluss der Tasche. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis sie ihn endlich aufbekam.
    »Du hast nicht viel dabei, oder?« Shandraziel reckte den Hals, als wollte er sehen, was sich in ihrer Tasche verbarg, dann sah er sie an und grinste. »Ich schätze, er wird dich umbringen.«
    »Dann werde ich wiedergeboren«, wollte sie ihm ins Gesicht schreien, biss sich jedoch auf die Zunge.
    »Du musst nur Ja sagen, dann sorge ich dafür, dass er dir nichts antut.«
    So, wie du dafür gesorgt hast, dass er mich überhaupt überfallen hat?
    Unmerklich schüttelte sie den Kopf. Selbst wenn sie starb, war das für sie noch lange nicht das Ende. Wenn es ihr nur gelang, ihre Mutter zu beschützen, war alles in Ordnung.
    »Komm schon, Jules«, Shandraziel trat einen Schritt näher, »du brauchst nicht die Heldin zu spielen. Ich kann dir das ersparen. Dir und deiner Mutter.«
    Das war der Moment, in dem sie ihn nicht länger ignorieren konnte. Wusste er, wo sie wohnte? »Lass mich endlich in Ruhe, du Drecksack!«
    Ihr Ausbruch irritierte den Maskierten. Erschrocken zuckte er zurück. Als sie die Klinge nicht länger an ihrer Kehle spürte, stieß sie den Mann von sich. Er stolperte einen Schritt rückwärts, ehe er sich wieder fing. Sofort sprang er vor und versuchte sie zu packen. Jules schlug mit der Tasche nach ihm. Das Messer fuhr über den Stoff und hinterließ einen langen Schnitt auf der Umschlagklappe. Der Maskierte bekam die Tasche zu fassen und zerrte daran. Jules taumelte erst auf ihn zu, aber dann riss sie die Tasche mit einem heftigen Ruck an sich und stürzte davon.
    Sie lief auf die Hauptstraße hinaus, zurück in das Licht der Laternen und zu den Menschen, die hier unterwegs waren. Es war sinnlos, um Hilfe zu rufen. Vermutlich würde Shandraziel es verhindern oder einen anderen Weg finden, um sie erneut in Bedrängnis zu bringen. Der Maskierte selbst interessierte sie nicht, er war nur ein Spielball des Gefallenen. Es war Shandraziel, den sie loswerden musste. Wenn es ihr gelang, ihn abzuhängen, konnte er sie nichtmehr aufspüren. Nicht, solange ihre Signatur (das war das Wort, nach dem sie vorhin gesucht hatte) verborgen war.
    Sie hetzte die Straße entlang, schlug wilde Haken an Passanten vorbei und konnte doch nicht verhindern, dass sie immer wieder mit der Schulter gegen jemanden stieß. Den Impuls, sich zu entschuldigen, unterdrückend, rannte sie weiter.
    Als sie einen Blick über die Schulter nach hinten riskierte, sah sie Shandraziel. Er ging schnell, bewegte sich im Gegensatz zu ihr jedoch fast gemächlich – als wäre es undenkbar, dass es ihr gelingen könnte, ihn abzuhängen.
    Seine Überheblichkeit war ihre Chance.
    Jules schlängelte sich zwischen einer Gruppe Studenten hindurch und bog in die nächste Seitenstraße ein. Trotz der Dunkelheit, die sie schon nach wenigen Schritten umfing, wurde sie nicht langsamer. Wasser, das sich in Pfützen auf dem unebenen Pflaster gesammelt hatte, spritzte unter ihren Füßen auf und durchnässte ihre Schuhe und Hosenbeine. Jules lief weiter. Allmählich stellten sich ihre Augen auf die veränderten Lichtverhältnisse ein. Die Schwärze, durch die sie sich eben noch bewegt hatte, wich unterschiedlichen Abstufungen von Grau und gab mehr und mehr

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