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Seelenglanz

Seelenglanz

Titel: Seelenglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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Sie hielt den Atem an und lauschte angestrengt. Das Knirschen der Schritte entfernte sich wieder, doch es konnte ebenso gut ein Trick sein. Vielleicht hatte er sich hinter einem der Müllcontainer versteckt und wartete darauf, dass sie sich herauswagte. Den Gefallen würde sie ihm nicht tun.
    Vielleicht gab es ja noch einen weiteren Ausgang? Da sie jedoch weder ein Feuerzeug noch Streichhölzer in ihrer Tasche hatte, blieb sie, wo sie war. Sie wollte sich nicht blind durch einen Raum tasten, in dem es womöglich Gruben für Kohle oder andere gefährliche Stellen gab, nur um hinterher festzustellen, dass es einer jener Lagerräume war, die nur von außen zugänglich waren.
    Die Arme um den Oberkörper geschlungen, um die Kälte zumindest ein bisschen zu vertreiben, saß sie da und wartete. Sie versuchte sich wieder im Zählen, und erst nachdem sie sicher war, dass mehr als eine Stunde vergangen war, stand sie auf und reckte ihre steifen Glieder. Ihre Finger glitten über die Tür, bis sie den Griff fand. Behutsam drehte sie daran und zog die Tür einen Spaltbreit auf, bis sie einen Blick nach draußen werfen konnte.
    Sie befand sich unterhalb des Straßenniveaus, aber nicht so weit unten, als dass sie nicht mehr hätte sehen können, was oben vor sich ging. Nach dem zu urteilen, was sie von ihrem Platz aus erfassen konnte, war alles ruhig. Bereit, jederzeit zurückzuspringen und die Tür hinter sich zuzuwerfen, vergrößerte sie den Spalt, bis sie den Kopf nach draußen schieben konnte.
    Nichts.
    Niemand zu sehen.
    Jules wartete noch zwei oder drei Minuten ab, in denen ihre Augen die Gasse absuchten, dann fasste sie sich ein Herz und trat nach draußen. Sicherheitshalber lehnte sie die Tür genauso an, wie sie sie vorgefunden hatte, stieg die Stufen nach oben und rannte los.
    Sie schaffte es unbehelligt zur Pine Street zurück und erwischte gerade noch einen Bus, der im Begriff war loszufahren. Kaum war sie drin, schlossen sich die Türen mit einem hydraulischen Zischen, und der Bus fuhr ruckend an. Erleichtert ließ sie sich auf einen der freien Sitze fallen und starrte aus dem Fenster, nach dem Gefallenen Ausschau haltend, der die Straßen nach ihr absuchte.
    Es war nicht die Buslinie, mit der sie gewöhnlich nach Hause fuhr, dafür war ihre Angst zu groß. Stattdessen hatte sie ihr ursprüngliches Vorhaben wieder aufgenommen und sich für den Bus entschieden, der sie zu Kyriel bringen würde. Mittlerweile war es spät geworden, der Bus war beinahe leer, und je weiter sie das Stadtzentrum hinter sich ließen, desto verlassener wurden auch die Straßen. Jules zog die Visitenkarte aus der Tasche und warf einen Blick auf die Adresse, die Rachel ihr aufgeschrieben hatte. Die Tinte war vom Regenwasser verwischt, aber immer noch gut genug lesbar, um sie nicht in die Irre zu führen.
    Als sie schließlich den Bus verließ, waren es nur noch wenige Minuten bis zu Kyriels Haustür. Er wohnte in einem mehrstöckigen Mietshaus, das zwar alt, aber in deutlich besserem Zustand als Mrs Trepcyks Mietskaserne war. Neben dem Eingang befand sich ein großes Klingelbrett. Erschrocken starrte Jules auf die Metallplättchen. Kyriel hatte keinen Nachnamen, er war ein verfluchter Engel! Dann jedoch erinnerte sie sich daran, wie er sie gebeten hatte,ihn in Gegenwart anderer Menschen Kyle zu nennen. Kyle O’Neil.
    Gott sei Dank, da stand der Name!
    Entschlossen drückte sie auf die Klingel.
    Und erhielt keine Antwort.
    Wieder und wieder läutete sie, doch die Gegensprechanlage erwachte nicht zum Leben und der Türsummer blieb stumm.
    Er war nicht zu Hause.
    »Das darf nicht wahr sein! Bitte lass das nicht wahr sein!«
    Doch alles Klingeln half nichts.
    Jules stand bereits ein paar Minuten vor der Tür, unentschlossen, was sie tun sollte, als einige Jugendliche das Haus verließen. Schnell schlüpfte sie an ihnen vorbei in den Eingangsbereich. An einer Flut von Briefkästen entlang, die nicht nur frisch lackiert, sondern auch beinahe ohne Beulen waren, ging sie zur Treppe und folgte den knarrenden Holzstufen in den zweiten Stock bis zu Kyriels Tür. Da sie nicht wusste, was sie sonst tun konnte, beschloss sie, auf ihn zu warten. Vielleicht kam er bald zurück. Immerhin war es mitten in der Nacht. Was sollte ein Schutzengel um diese Zeit schon draußen tun? Seine Arbeit, klar. Hauptsache, es dauerte nicht zu lange. Frierend und erschöpft ließ sie sich auf der Matte vor seiner Tür nieder und wartete.

17
    Nachdem er noch ein paarmal die

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