SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
der Umarmung hingeben und nie wieder loslassen.
Doch die Dunkelheit entschwand.
Immer ferner, immer kälter – allein.
Sie war wieder allein.
Allein mit der entkräfteten Seele, die das Loch in ihrem Herzen nicht zu füllen vermochte. Selene begann zu zittern.
Kapitel 3
Isländisches Hochland
„Ist alles zu Eurer Zufriedenheit?“
„Vorerst.“ Ein schrilles Ächzen und Krachen untermalte ihre Stimme. Obwohl sie flüsterte, kam es in den Ohren des Taryk als gellender Schrei an. Assora erhob sich von ihrem schwarzmetallenen Thron und schritt die Stufen hinab, genau vor seinen zitternden Körper. Er fühlte ihre Autorität in allen Nerven. Sie riss an ihm, nagte und krallte sich fest. Sein Körper strebte danach, sich von der Königin fernzuhalten, strebte mit jeder Faser, die er als lebendig empfand, danach, diesen Raum und ihre unerträgliche Nähe sofort zu verlassen. Aber selbst, wenn er den Mut gehabt hätte – er konnte nicht. Er wurde zu Boden gedrückt und sein Kopf ruhte tief auf den kalten Steinen. Das Einzige, was noch lebendig wirkte, war sein Haar, das sich euphorisch wie immer um den Kopf schlängelte.
Der Geruch ihrer schwarzen Aura reizte seine Nase und brachte die Augen zum Tränen. Sie ergötzte sich daran, ihn leiden zu sehen. Schwarzer Dunst schlich um den Taryk herum und kroch in seine Poren. Er zerrte an den Sehnen, Muskeln und Knochen und spannte sie bis aufs Äußerste. Der Druck in seinen Augen wurde unerträglich. Sie drohten aus den Höhlen zu treten und sein ganzer Körper bebte unter der Last, der sie ihn aussetzte. Er wollte schreien, doch das wäre sein Todesurteil. Die Zeit verweste. Assora formte Sekunden zu Stunden. Sie wartete auf seinen Ungehorsam. Damit sie ihn bestrafen konnte. Und er harrte aus und blieb trotz aller Qualen standhaft.
Ewigkeiten später erst zog sich ihr Geist aus seinem Körper zurück. Am liebsten wäre er vor Erleichterung zusammengesackt, aber er hielt sich tapfer auf allen Vieren.
„Verschwinde!“, hauchte sie.
In seinen Ohren knackte und knirschte es. Der Schädel stand kurz vor dem Zerbersten. Endlich. Er durfte gehen, hatte einen weiteren Moment überstanden. Zaghaft schob er sich nach hinten und hob den Kopf nur einen Millimeter, damit er nicht auf den Steinen scheuerte. Der Druck hatte nachgelassen. Dennoch wagte er es nicht aufzustehen. Er kroch einfach rückwärts und löste sich dann in Rauch auf.
Nachdem er vor dem Eingangstor zu ihren privaten Gemächern Gestalt angenommen hatte, fiel er vor Erschöpfung auf die Knie und spuckte schwarzen Nebel aus, der wie Teer über den Steinboden davonzog. Zwei Taryk gingen vorbei und verspotteten ihren Bruder.
Ja. Das war er. Abfall, dem man aus dem Weg ging, über den man lästerte oder den man auslachte. Als Informant und Bote Assoras hatte er einen der übelsten Posten des Königreichs abbekommen. Was er ertragen musste, stellte keinen Vergleich zu den Aufgaben eines einfachen Söldners dar. Jagen und Töten. Wie angenehm. Wie leicht. Er aber musste Tag für Tag dem Geschöpf unter die Augen treten, das alle Bewohner des Königreiches fürchteten wie nichts anderes. Ihre eigene Mutter – die Königin. Und er – ein Taryk von Tausenden – hatte den ersten Preis gewonnen, als es um die Zuteilung der Sklavenarbeit ging, musste ihre alles verzehrende Nähe Tag für Tag ertragen. Und das, obwohl sie theoretisch keinen Boten brauchte. Immerhin wurden ihr die Informationen jedes Taryk minutengenau übermittelt. Wie alle anderen dunklen Königinnen war auch Assora dazu im Stande, jeden Gedanken und jede Erinnerung ihrer Brut abzurufen. Ähnlich einem einheitlichen Gehirn. Sie konnte sehen, fühlen, riechen, hören und ertasten, was die Taryk erlebten, und wenn sie wollte sogar töten, mit nur einem Gedankenstoß, als würde sie zwinkern.
So hatte sie auch von dem Gefallenen erfahren. Von dem Unsterblichen, der nun im Kerker festgehalten wurde. Eine Nacht, in der die Taryk einen Akkadier bezwangen, war eine glorreiche Nacht, ein Sieg auf ganzer Linie.
Söldner hatten ihn in London überwältigen können, so absurd das auch klang. Und Assora war persönlich dort erschienen, um ihn mitzunehmen.
Doch der Zustand des Unsterblichen entsprach nicht dem gewöhnlichen. Er wehrte sich nicht, heilte nicht, reagierte in keiner Weise, hing einfach nur in Nergals Ketten und wartete. Worauf auch immer.
Der Taryk bezweifelte, dass der Akkadier, selbst ohne die Fesseln des Todesgottes, in der Lage wäre zu
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