SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
Derart stark zu sein, dass sie sich vielleicht sogar fürchteten. Und derart einsam. Diriri wirkte nicht glücklich. Das Bild einer Amazone, das Selene von den weiblichen Unsterblichen gehabt hatte, verschwamm mit dem Unglück, das diese Frau ausstrahlte.
Roven legte seine Hand an Selenes Rücken. Sie sah ihn an. Hinter den Augen ihres Akkadiers bewegte sich etwas Gieriges. Sie hatten noch Zeit. Zeit, die sie hoffentlich miteinander und ausschließlich im Bett verbringen würden.
Er sah ein letztes Mal auf. Illian winkte ab. Dann zog er sie an sich und mit in die Dunkelheit.
Jason blieb mit Illian zurück. Der Unsterbliche machte einen netten Eindruck, auch wenn seine unüberschaubare Attraktivität Jason beinahe zu hypnotisieren schien.
„Kann ich Ihnen noch irgendwie helfen?“
Der schlanke Akkadier zog einen Stuhl zurecht, setzte sich und legte die schweren Stiefel auf dem Tisch ab. Er streckte sich seufzend nach hinten und stützte seinen Kopf in die verschränkten Handflächen.
„Kannst mich ruhig duzen, Kleiner. Als ich gestorben bin, war ich auch nicht älter als du.“ Was für eine melodische Stimme. „Wie lange arbeitest du jetzt schon für Roven?“
Jason drehte sich auf seinem Bürostuhl herum und betrachtete Illian. Er hatte die Augen geschlossen.
„Ich wohne hier, seit ich denken kann. Meine Eltern sind früh gestorben, deswegen bin ich hier bei Grandpa und Roven aufgewachsen. Warum fragst du?“
Illian ließ sich Zeit mit seiner Antwort.
„Mhm, nur so. Aus Neugier.“ Wieder legte er eine Pause ein. „Fühlst du dich wohl bei ihm?“
Das war das erste Mal, dass Jason Illian begegnete und das erste Mal, dass ihn jemand so etwas fragte.
„Ja, natürlich.“
Illian setzte sich auf und betrachtete ihn mit seinen bernsteinfarbenen Augen.
„So natürlich ist das nicht, Jason. Nicht jeder, der uns unterstützen sollte, tut dieses auch.“
Es hörte sich wie ein Vorwurf an und Jason gewann das Bedürfnis, seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
„Also … für mich ist das natürlich und selbstverständlich. Roven ist wie ein Bruder für mich. Ich … mache mir Sorgen, wenn er leidet.“ Jason dachte an die vergangenen Tage. Der Kummer und die Wut in Rovens Gesicht waren Gott sei Dank verschwunden. „Es würde für mich nicht in Frage kommen, nicht alles für ihn zu geben, was ich kann.“
„Würdest du dein Leben für ihn lassen?“
„Was?“ Das stand doch gar nicht zur Debatte. Und wie sollte er einem Unsterblichen das Leben retten können? „Warum fragst du das?“ Jason bekam Zweifel. „Ich … hab darüber noch nie nachgedacht.“
Illian schüttelte den Kopf und schnaufte. „Darüber musst du auch nicht nachdenken.“
Er stand auf und ging mit geschmeidigen Schritten auf die Tür zu, drehte sich dann noch einmal zu Jason um.
„Mach dir keine Gedanken, Kleiner. Akkadier labern manchmal wirres Zeug. Das liegt am Alter.“
Doch als Illian die Tür hinter sich schloss, konnte Jason diese Frage nicht so leicht abschütteln. Wurde das von ihm verlangt? Dass er sein Leben für das seines Herren gab? Und was noch viel wichtiger war: Würde er es tun?
Rovens Lust wurde von Wehmut überschattet. Er vergrub das Gesicht an der Kehle seiner Gefährtin und atmete ihren honigsüßen Duft ein. Jedes Mal, wenn sie kicherte, vibrierte die Haut an ihrem Hals und streichelte seine Wange.
Er wollte Selene nicht loslassen, hatte Angst, dass etwas schief gehen würde. Irgendetwas beeinträchtigte seine Zuversicht und drückte auf sein Herz. Wenn ihm etwas zustieße –
Er wollte nicht, dass sie seinetwegen starb.
Selene ließ ihre kleinen Finger an seinem Nacken entlangkreisen. Die andere Hand ruhte auf seiner Schulter. Roven hatte sie unter sich gebettet und spürte ihren schlanken Körper. Naham schnurrte. Selene lachte.
Als er seinen Kopf hob und in ihre dunkeln Augen schaute, strahlten sie ihn an.
„Du gehörst zu mir!“, flüsterte Roven. Vielleicht, um sich selbst davon zu überzeugen.
„Ich weiß“, lächelte sie. „Ich liebe dich.“
Er senkte seinen Kopf und berührte ihre schönen Lippen. Heimat , dachte er. Selene empfing ihn immer so, als wäre sie dafür erschaffen worden, seinen kriegerischen Mund zu zähmen.
„Ich danke dir.“ Seine Stimme klang heiser. „Dafür, dass du mich vervollständigst.“
Selene legte ihre Hand an seine Wange. Die Augen seiner Gefährtin begannen zu glänzen.
„Nicht doch. Ich habe dir zu danken.“ Ihre Stimme wurde ein Flüstern.
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