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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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Ostküste näherten, waren an den Hängen immer mehr behelfsmäßige Unterkünfte zu sehen, in denen verwahrloste Soldaten hausten. Dicht an dicht standen die Zelte aus alten Teppichen oder Unterstände aus Kisten, dazwischen war fast kein Platz frei. Die Hafenstadt Wladiwostok wirkte wie ein Ort, an dem alles gestrandet war.
    Als sie den Zug verließen, folgten sie einfach der Menge, denn jeder hier schien nach Amerika oder Japan zu wollen, jedenfalls raus aus Russland. Der Güterbahnhof war vollgestellt mit Kisten und Paletten, Getreidesäcke, Büchsen mit Fleisch und Verbandskästen waren in den und um die leeren Waggons gestapelt und wurden von Fußsoldaten bewacht. Am Pier standen bei den angedockten Schiffen halbgeöffnete Kisten, bedeckt von englischen und japanischen Schildern, verlassen unter flatterndem Segeltuch – Stacheldrahtrollen, Schachteln mit Munition.
    Die einst wunderschönen Villen waren nun verlassen, mit zerbrochenen Fenstern und ausgeraubten Zimmern. Die Landschaft war unwirtlich und ausgezehrt, die Farben waren gedämpft, als ob das Salz in der Luft den Ort gebleicht hätte. Auch wenn die Güterbahnhöfe und Piere den Eindruck von Stagnation vermittelten, war das Dock voller Menschen: russische Matrosen in gestreiften Uniformen, Händler, die den Vorbeigehenden Zigaretten entgegenhielten, japanische Soldaten in weißen Wickelgamaschenhosen und blauen Jacken, die ihre Schiffe bewachten, und dazwischen die Massen verzweifelter Reisender, die auf einen Platz auf einem der Schiffe hofften, um Sibirien verlassen zu können.
    Calder folgte dem Pulk zur Hafenbehörde, doch die Wartenden vor ihm in der Schlange behaupteten, dass nur diejenigen, die ihre Pässe im Büro der Bolschewiken abgegeben hatten, an Bord dürften. Erschrocken und wütend traten einige aus der Schlange, ohne zu wissen, wohin sie gehen sollten. Calder wollte unter allen Umständen mit dem Schiff mitfahren, das in einer Stunde auslaufen sollte.
    »Calder!« Ana zupfte ihn am Ärmel. »Sie werden ihn töten.« Auf der Straße holten gerade fünf Matrosen einen japanischen Jungen ein, der offensichtlich einer Frau die Handtasche gestohlen hatte. Alexis schrie Befehle und war wütend, dass niemand auf ihn hörte.
    »Lasst ihn los!«, verlangte der Junge. Er riss dem Kind die Handtasche aus den kleinen Händen und warf sie den Soldaten zu, während sich der kleine Japaner auf den Boden kauerte. »Seht ihr nicht, dass er noch ein Kind ist?«
    Die Soldaten traten dennoch auf ihn ein. Calder fühlte sich wie an einem anderen Ort, neben einem anderen Gewässer, ein anderes Kind vor Augen. Er realisierte erst, was er da tat, als er die Soldaten von dem Jungen wegzog.
    Als zwei Männer Alexis an den Armen packten, kam Ana ihm hastig zu Hilfe. Der japanische Junge lag bewegungslos auf dem Boden und blutete aus einem Ohr.
    »Er ist es nicht!« Sie wollte ihren Bruder befreien.
    Zwei Männer hielten Calder zurück. Der eine fluchte, doch der andere lächelte. »Er wird wieder gesund, wir besorgen ihm bei der Polizei einen Arzt.«
    »Hier gibt’s keine Polizei mehr«, rief jemand.
    »Ich befehle es!«, bellte Alexis. »Lasst mich los!«
    »Er hat nichts gestohlen«, erklärte Ana hastig. »Mein Bruder hat nur versucht zu helfen.«
    Zunächst wurden alle Einwände ignoriert. Dann geschah etwas, das die Soldaten veranlasste, Alexis freizulassen.
    Calder bemerkte ein vertrautes Glühen über dem Kopf des kleinen Jungen. Eine Todestür wurde sichtbar, aus Ebenholz mit Blumenschnitzereien, der Türgriff und der große Türklopfer in Form eines Drachenkopfs aus glänzendem Messing. Durch die Tür trat eine Begleiterin, die Calder zwar kannte, deren Namen er jedoch nicht wusste.
    »Schwester.« Er sprach die Seelenhüterin an, die für alle anderen unsichtbar war, während der Geisterwind ihn umwehte. »Ich brauche den Captain. Bitte.«
    Die Soldaten ließen Calder frei. »Halt den Mund«, knurrte einer.
    Die Begleiterin antwortete ihm, doch ihre Worte waren zu weit entfernt, gingen in der dicken irdischen Luft unter.
    »Ich kann dich nicht hören«, erklärte Calder verzweifelt. Ihm war bewusst, dass ihm die Soldaten Fragen stellten, ihm Befehle erteilten, doch es kümmerte ihn nicht.
    Mit einfachen, fließenden Bewegungen erklärte die Begleiterin Calder alles, was er wissen musste. Sie deutete erst auf den Körper des Jungen, dann auf sich und die Todestür. Als Nächstes deutete sie auf das Kind, auf Calder und mit der Hand auf den Boden. Er

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