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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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im Wasser verlor. Die Locke, die er komplett vergessen hatte, ruhte für einen Moment auf ihrer Handfläche, bis ein Windstoß sie aufs Wasser hinauswehte. Calder hoffte, dass sie die gestohlene Erinnerung nicht erkannt hatte, doch sie sah verblüfft zu ihm auf und berührte ihren Pony.
    Calder errötete und wandte sich wieder den Männern zu. »Also, Tomas, wie sieht das Messer aus?«, fragte er noch einmal. »Da unten könnte ein ganzes Waffenarsenal liegen.«
    Das erheiterte die drei, und Tomas beschrieb das verlorene Taschenmesser. »So lang etwa«, er hielt Daumen und Zeigefinger sieben Zentimeter auseinander, »aus Silber und Perlmutt.«
    »War es offen oder geschlossen, als es ins Wasser fiel?«
    Finn antwortete: »Geschlossen.«
    »Gut, dann mal los«, sagte Calder.
    »Sei vorsichtig«, bat ihn Ana.
    Er hätte sie am liebsten zum Abschied geküsst. Es war zu verlockend. Er könnte sie sich über den Arm werfen wie ein Held, der aufbrach, gegen den Drachen zu kämpfen, und wusste, die Männer würden sich darüber freuen, doch er war sich nicht sicher, wie Alexis reagieren würde. Er war sich auch nur halb sicher, dass Ana ihn nicht schlagen würde.
    Stattdessen bedeutete er den Kindern zurückzutreten, denn er wollte nicht, dass er beim Eintauchen die kostbare Puderschicht beschädigte. Er lächelte Ana aufmunternd zu und ließ sich in das Brackwasser neben dem Boot fallen.
    Es war tiefer, als er erwartet hatte, der Grund lag etwa zwölf Meter unter ihm. Das Wasser war merklich wärmer als der russische Fluss, in den man ihn an Händen und Füßen gefesselt geworfen hatte. Er schwamm zielstrebig nach unten, doch der Grund war viel unübersichtlicher als erwartet. Das Wasser war schlammig, und alles war von Rankenflusskrebsen bedeckt. Das lange Seegras an den Pfeilern der Docks wogte in der Strömung. Jahrhundertelang hatte sich Abfall angesammelt und bedeckte den Grund. Unzählige Haufen, manche klein wie Katzen, andere groß wie Klaviere, versteckten sich unter dem endlosen Schlickteppich. Blechbüchsen, alte Stiefel, Besenstiele, Seile, zerbrochenes Porzellan und halbversunkene Flaschen lagen überall verstreut. Fische so klein wie seine Hand fraßen sich durch den Dreck.
    Calder wünschte ausnahmsweise, er könnte eine Heimsuchung einer verlorenen Seele heraufbeschwören, um seine Umgebung durchsichtig zu machen. Damit wäre es ungleich leichter, das sieben Zentimeter lange Messer zu finden. Er sah eine rostende Sardinenbüchse, einen Knopf aus Elfenbein, eine zerbrochene Pfeife, einen Frauenschuh und ein Hörrohr. Zuerst schmerzte das Gefühl in der Brust, nicht zu atmen, doch schon bald hatte er sich daran gewöhnt. Sein Blick glitt über Dinge aus seiner Zeit in London: eine Schnupftabakdose, einen Elfenbeinfächer, der wie ein Haufen Fischknochen auseinandergefallen war, die silberne Spitze einer Dolchscheide.
    Eine Tür aus hellem Holz, dessen blauer Anstrich in sich kräuselnden Bahnen abblätterte, stand beinahe aufrecht auf dem Flussgrund, eingeklemmt zwischen einigen Steinen. Der Messingknauf und die Angeln fehlten, ein silberner Fisch schwamm durch das Schlüsselloch und verschwand. Calder wusste, es hatte nichts mit der Passage zu tun, dennoch versuchte er es. Er schwamm zu der Tür und drückte gegen die Seite, von der sie sich früher geöffnet hatte. Prompt fiel sie um und wirbelte eine Schlammwolke auf.
    Zwischen den Steinen und Muscheln hinter der Türschwelle meinte er die Knochen einer menschlichen Hand und die hohlen Augen eines Schädels zu erkennen, doch es war nur eine Kette aus Elfenbeinperlen und eine chinesische Vase mit zwei Löchern in der Seite, die halb im Schlamm vergraben war. Calder hätte die Kette gern Ana mitgebracht, doch der Faden, an dem die Perlen aufgereiht gewesen waren, war verrottet. Er nahm das Mittelstück der Kette mit, eine einzelne Perle, die einen fliegenden Vogel darstellte. Auch wenn die Leiche nichts weiter als eine Illusion gewesen war, deutete ein Finger der vermeintlichen Hand mit perlmuttenem Glitzern auf ihn.
    Als die Männer Calder aus dem Wasser halfen, wirkten sie verängstigt. Selbst Ana, die wusste, dass er keine Luft zum Atmen brauchte, wirkte furchtsam. Allein Alexis saß auf dem Dock, als sei ihm langweilig. Calder warf Tomas seinen Fund zu, der ihn in der Luft auffing. Nach einem Moment Sprachlosigkeit griff Finn nach dem kleinen Messer, und alle drei Männer brachen in Jubel aus und umarmten Calder.
    »Mein Freund«, sagte Tomas. »Du

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