Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
nehmen wollen.«
Die Psychologin ergriff Sunas ausgestreckte Hand, setzte aber eine skeptische Miene auf. »Nun mal nicht so schnell«, wehrte sie ab. »Sagen Sie mir erst einmal, warum Sie mich sprechen wollen, und dann entscheiden wir, wie es weitergeht.« Trotzdem machte sie eine einladende Geste in Richtung der Praxisräume.
Suna folgte ihr. Gemeinsam nahmen sie in einer gemütlichen Sitzecke Platz, die aus einem Tisch und vier niedrigen Ledersesseln bestand.
An der Wand stand ein Schreibtisch, auf dem ein ganzer Stapel Papiere ausgebreitet war. Die Lampe brannte. Offensichtlich hatte sich die Psychologin gerade mit dem Papierkram herumgeschlagen, der in ihrer Praxis anfiel.
Dr. Zeisig lehnte entspannt in ihrem Sessel. Sie musterte Suna eine Weile forschend, dann lächelte sie. »Wie ich Ihnen schon gesagt habe, darf ich über keinen meiner Klienten ein Wort verlieren«, eröffnete sie das Gespräch. »Aber wenn ich Ihnen ansonsten behilflich sein kann, werde ich das gerne tun.«
Suna nickte. »Wissen Sie, ich trage mich mit dem Gedanken, ein Buch zu schreiben, genauer gesagt einen Roman«, behauptete sie. »Die Hauptfigur darin hatte ein schweres Schicksal. Ihre Eltern haben sich getrennt, als sie noch ein Kind war, die Mutter begann zu trinken. Zeitweise wurde es sogar so schlimm, dass sie in eine Pflegefamilie musste. Jetzt möchte ich natürlich den Charakter dieser Hauptfigur möglichst realistisch darstellen. Ich müsste wissen, welchen Einfluss solch eine Kindheit auf eine Person hat, ob sie später vielleicht an Depressionen leidet oder im Extremfall sogar selbstmordgefährdet sein könnte.«
Dr. Zeisig sah sie aus schmalen Augen an, sagte jedoch nichts.
Suna war klar, dass sie sie durchschaut hatte, und genau das war ja auch ihre Absicht gewesen. Trotzdem rechnete sie damit, sofort vor die Tür gesetzt zu werden.
Doch plötzlich spielte ein leichter, kaum wahrnehmbarer amüsierter Zug um den Mund der Psychologin. »Ich nehme an, Ihre Hauptfigur ist rein fiktional, es gibt keinen Zusammenhang zu irgendeiner realen Person?«, erkundigte sie sich in sachlichem Tonfall.
»Absolut«, bestätigte Suna ernst. Sie hatte den Verdacht, dass sich die Psychologin nur mit Mühe das Lachen verbeißen konnte über ihren billigen Trick.
»Ermitteln Sie eigentlich noch im Fall Saskia Christensen?«, fragte diese so beiläufig, als rede sie über das Wetter. »Ich meine nebenbei, während Sie Ihr Buch vorbereiten?«
Suna wog ihre Antwort genau ab. »Ein wenig. Saskias Schwester fällt es sehr schwer, mit ihrem Tod klarzukommen, solange sie nicht weiß, was wirklich passiert ist. Ich möchte ihr sehr gern helfen.«
»Das verstehe ich.« Dr. Zeisig war wieder ernst geworden. »Nun aber zu der Figur in Ihrem Buch, die ja keinerlei Bezug zu realen Personen hat, wie ich noch einmal betonen möchte. Wie kann ich Ihnen da helfen?«
Suna musterte die Psychologin forschend, dann lächelte sie. »Also, die junge Frau hat gewisse Probleme, gesunde Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Von ihrem Freund ist sie in gewisser Weise abhängig, geht sogar für ihn auf den Strich. Außerdem ist sie depressiv. Kann das an ihrer schwierigen Vergangenheit liegen?«
»Möglich.« Dr. Zeisig strich nachdenklich mit der Hand über die Armlehne ihres Sessels. Ich will es laienhaft ausdrücken, denn Ihre Leser sollen sich ja nicht mit psychologischen Fachbegriffen herumplagen müssen.« Sie lächelte. »Stellen Sie sich vor, ein kleines Mädchen bekommt mit, dass es seinen Eltern zur Last fällt. Ich meine nicht, dass diese ab und an gestresst sind, vielleicht auch überfordert. Das geht schließlich den meisten Eltern so. Sondern dass sie wirklich mit dem Kind auf Dauer nicht klarkommen. Der Vater geht, die Mutter flüchtet sich in den Alkohol. Andere Bezugspersonen sind nicht da. Das Kind lernt also, dass alle Menschen, die es liebt, es in irgendeiner Weise verlassen. Es geht sogar so weit, dass das Jugendamt einschreitet und das Kind eine Zeitlang aus der Familie nimmt und es in eine Pflegefamilie kommt, sagen Sie?«
»Genau.« Suna nickte. »In der Pflegefamilie findet es aber auch nicht die nötige Geborgenheit «, führte Suna den Gedanken weiter. »Der Pflegevater ist ziemlich unsensibel – harmlos ausgedrückt. Er tyrannisiert das Mädchen, vielleicht gibt es sogar sexuelle Übergriffe?« Sie sah die Psychologin fragend an.
Diese wägte ihre Gedanken sorgfältig ab, schüttelte dann aber den Kopf. »Es braucht nicht
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