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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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Karrierismus und Heuchelei bestand. Hier braute er sich sein Gegengift, je zur Hälfte aus Morphium und seinem eigenen Talent. Es ist kein Zufall, dass er gerade an den Patriarchenteichen Volant erscheinen ließ, den dunklen Fürsten, der jedem gibt, was er verdient.
    Alles das geht mir durch den Kopf, während ich am Wasser herumspaziere und auf den Wellen meiner eigenen Zufriedenheit schwimme. Fürwahr, heute ist ein wunderbarer Tag.
    Mein Handy klingelt, und ich höre Julas Stimme, die mir ihre Ankunft mitteilt.
    »Wo bist du?«, frage ich.
    »Ich komme von links.«
    Ich drehe mich um und sehe sie die Malaja Bronnaja entlanggehen. Sie lächelt, und die Sonne, die hinter ihrem Rücken leuchtet, gibt ihrem kastanienbraunen Haar eine besonders warme und weiche Nuance.
    »Hallo«, sagt sie. »Du hast so etwas Märchenhaftes an dir, du siehst aus, als wärst du jünger geworden. Fast wie ein kleiner Junge, weißt du das?«

    Ich sehe sie an, grinse dumm, und mir scheint fast, als wäre jener Tag vor etwas mehr als einem Jahr zurückgekehrt, an dem wir uns kennenlernten. Mir ist, als hörte ich wieder ihre Stimme hinter mir:
    »Entschuldigung!«
    »Ja?« Ich drehe mich um.
    »Können Sie mir sagen, wie man zur Dreiteichengasse kommt?«
    »Sie müssen sich ein Stück weiter rechts halten. Aber eigentlich ist es sinnlos, mit dem Auto dorthin zu fahren, um diese Zeit findet man in der Gegend keinen Parkplatz. Wo genau wollen Sie denn hin? Vielleicht weiß ich ja eine Abkürzung.«
    »Vielen Dank. Sie sind hier nicht zufällig der örtliche Stadtführer? Erklären Sie jedem, der Sie anspricht, so genau den kürzesten Weg?«
    »Jedem, der mich anspricht? Nein, ganz bestimmt nicht.« – O Gott, meine Liebe, wenn mich in der letzten Zeit jemand auf der Straße angesprochen hat, dann höchstens, um eine Zigarette zu schnorren! Gnädige Frau, ist Ihnen überhaupt die besondere Verantwortung, die besondere Bedeutung dieses Augenblickes für meine nichtswürdige Person bewusst? -
    So haben wir uns kennengelernt. Jetzt erinnere ich mich daran und frage:
    »Sag mal, Jula, musst du heute wieder ganz dringend zur Dreiteichengasse?«
    »Nö. Heute muss ich nur spazieren gehen, quasseln und faulenzen.«
    »Sehr gut. Tun wir das doch einfach. Weißt du, ich fühle mich heute tatsächlich wie ein achtzehnjähriger Junge.«

    »Das ist doch schön. Ich habe dich schon seit langem nicht mehr so gesehen. Gibt es irgendwelche angenehmen Neuigkeiten?«
    »Das kann man wohl sagen! Ich spüre geradezu, dass der heutige Tag alle meine Depressionen, üblen Launen und den ganzen anderen Quatsch einfach hinwegfegen wird. Ich fädele nämlich gerade ein neues Projekt ein, etwas vollkommen anderes, als ich bisher gemacht habe. Deshalb bin ich in absoluter Hochstimmung. Ich glaube, ich brauche wirklich mal was Neues.«
    Wir spazieren um den Teich herum, rauchen, geben unsere Kommentare ab über die unkonventionelle Jugend und die knutschenden Pärchen. Ich erzähle ihr von meinem Desaster am gestrigen Abend und von dem ganzen Stress, den ich mit den Bullen hatte, von dem geplanten Club-Projekt und von der allgemeinen Stagnation des Moskauer Nightlife-Business. Würze das Ganze mit ein paar Anekdoten aus dem internationalen Clubleben. Ich erzähle ihr auch, wie wichtig mir dieses Projekt ist, und dass ich fest daran glaube, dass ab jetzt alles besser werden wird, und wie sehr mir dieses ganze tagtägliche Gerangel und Gezerre, dieses alberne Herumgemache mit irgendwelchen Szenetussis oder Szenebekanntschaften zum Hals raushängt. Dass ich mich in die Zeit zurückwünsche, als ich hier als achtzehnjähriger Student spazieren ging, dass ich wie damals die Liebe spüren möchte, die uns so fehlt, und das Bedürfnis zu lieben, das Bedürfnis, sich ganz und gar hinzugeben. Sie hört mir zu, und ihre Augen verändern im Verlauf meiner Erzählung die Farbe, von traurig-grün zu funkelndem Smaragdgrün. Schließlich streichelt sie mir über den Kopf und sagt:

    »Ich finde das großartig. Du brauchst schon seit langem eine Veränderung. Weißt du, manchmal denke ich, du solltest einfach ein bisschen ruhiger leben und mit diesen ganzen Dummheiten aufhören. Schau dich doch mal um, dann wirst du sehen, dass es um dich herum so viel Liebe gibt. Du willst sie nur nicht wahrnehmen. Manchmal habe ich richtig Angst um dich. Denn eigentlich bist du vollkommen in Ordnung, du hast dich nur zu sehr in deinem Zynismus eingegraben. Sei so, wie du bist, dann wird alles gut.

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