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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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diese Stadt ist. Mit ihren käuflichen Frauen, die sich von dir vögeln lassen, nur weil du die
richtige Uhr am Handgelenk trägst. Mit Geschäftspartnern, die dich hängen lassen für ein Gramm Koks. Mit falschen Freunden, die dich zwischen zwei Gläsern verkaufen. Mit all der moralischen und physischen Hurerei. Voll mit Menschen, die an Seelentripper leiden. Und immer wieder falle ich darauf herein.
    Ich drücke meine fünfte Zigarette aus und wische mir die letzte Träne aus den Augenwinkeln. Da begegnet mein Blick im Rückspiegel dem des Fahrers. Mit zuckersüßer Stimme fragt er mich: »Irgendwas nicht in Ordnung? Kann ich Ihnen helfen?« Ich weiß natürlich, dass er nur pro forma fragt und sage »Alles okay«. Er macht noch eine Weile halbherzig auf Mitgefühl, dann halten wir endlich vor meiner Haustür.
    Ich steige aus und gebe ihm 200 Rubel (das ist der normale Tarif vom Zentrum bis zu mir), aber er fängt sofort an zu nörgeln: »Normalerweise kriege ich dreihundert.« Ich lege alle Verachtung, zu der ich in meinem besoffenen Zustand fähig bin, in meinen Blick und werfe ihm noch einen Hunderter hin. Bravo, denke ich, während ich zur Haustür wanke. Applaus für die Abgeschmacktheit und den Zynismus dieser Stadt! Die plumpe Bauernschläue gewisser Leute verblüfft mich immer wieder. Dieser Typ würde einen Schwerverletzten mit Affenzahn ins nächste Krankenhaus transportieren und ihm unterwegs die Pfote tätscheln, aber am Schluss würde er ihm eiskalt den doppelten Fahrpreis abknöpfen.
    Ich erreiche meine Etage, stolpere durch meine Wohnungstür, schaffe es gerade noch, die Schuhe auszuziehen und lasse mich, wie ich bin, in mein Bett fallen.
    Gute Nacht, Moskau!

Seelenlos
    Am nächsten Morgen liege ich mit dickem Kopf in der Wanne und lasse die Ereignisse des gestrigen Abends noch einmal Revue passieren. Ich habe einen ekligen Hefegeschmack im Mund, wie immer, wenn ich mir solche Sachen geleistet habe. Mehrmals schrubbe ich mich von oben bis unten mit der Bürste ab, als könnte ich mir so den Schmutz von der Seele waschen. Ja, wenn es dafür eine Bürste gäbe! Dann wäre ich jetzt noch so sauber wie vor zwanzig Jahren!
    Anschließend liege ich auf dem Sofa, rauche und denke darüber nach, wie Menschen, die mir irgendwann einmal sehr nahestanden, solche Arschlöcher werden konnten. Wer oder was hat sie so verändert? Wie schnell durchläuft man diesen Weg vom ersten Kontakt mit der Szene bis zur vollständigen Selbstverleugnung?
    Haben Sie eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, warum man die Leute, die man am Abend in den Restaurants, in den Boutiquen und bei den Modeschauen sieht, so gut wie nie während des Tages trifft? Wohin verschwindet diese ganze fröhlich brodelnde Menge, in der einer dem anderen gleicht wie Zigaretten aus derselben Schachtel?
    Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Leute überhaupt nicht existieren. Genau so ist es: Die Hälfte dieser Stadt gibt es gar nicht. Meiner Meinung nach verwandelt
sich der Raum innerhalb des Sadowoje-Rings gegen Abend in eine Art Computerspiel, in dem nur noch virtuelle Figuren agieren. Diese Figuren waren irgendwann ganz normale Menschen mit ganz normalen Träumen, normalen Problemen und gewöhnlichen Alltagssorgen. Eines Tages ist ihnen dann aufgefallen, dass es viel einfacher ist, sich in Gestalten aus Hochglanzmagazinen zu verwandeln, in Helden und Heldinnen der Tanzflächen, Feen der Laufstege und Ritter der Messer und Gabeln auf dem Schlachtfeld der Restaurants. Das Ziel: Das ganze Leben zu einer 24-Stunden-Fete machen und selbst zu einem jener glamourösen Nachtmenschen werden, die die Werbung von morgens bis abends präsentiert. Unter dem permanenten Schein der Blitzlichter entwöhnen sich ihre Augen dem Tageslicht, Tonnen von Parfüms und Kosmetika, im Verein mit Drogen und Diäten, trocken ihre Körper aus, und die unzähligen Trendmagazine sowie die Unterhaltungsshows im Fernsehen tun dasselbe mit ihren Gehirnen. Am Ende sind sie jene unsichtbaren Menschen, die nur des Nachts das Haus verlassen können. Denn nur nachts, bei künstlichem Licht, bemerkt man nicht, was sich unter der Oberfläche der Make-ups, der Prada-Kleider, Cavalli-Jeans oder Brioni-Anzüge befindet: vollständige Leere. Und genau das ist der Grund, weshalb man ihnen niemals bei Tageslicht begegnet. Aus Angst, irgendjemand könnte erkennen, dass hinter den dunklen Gläsern ihrer Chanel-Brille keine Augen sind, sondern nur aufgemalte Gesichter, verstecken sie

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