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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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richtiger Mensch. Ein Monster, verstehst du? Was ist mit dir los? Bist du nicht ganz dicht oder wie?« Wolodja lässt den Zeigefinger an seiner
Schläfe kreisen. »Seit Generationen lebt man bei uns nach dieser Regel: Ich gebe dir, du gibst mir. Darüber braucht man nicht die Nase zu rümpfen. Das war immer so bei uns. Meine Eltern haben so gelebt und ihre Eltern auch. Nur dir geht das anscheinend nicht in die Birne. Mit dir kann man einfach nicht normal reden.«
    »Normal? Was ist denn normal?«, seufze ich. Dieses Gespräch geht mir allmählich auf den Senkel.
    »So wie normale vernünftige Menschen miteinander reden. Ganz einfach. So habe ich es immer gehalten, mein ganzes Leben lang. Damals schon, als ich meinen kleinen Kiosk aufgemacht habe. Ich habe mit den Schutzgeldbanden so geredet, mit dem Gesundheitsamt, mit dem Wirtschaftsamt. Nie hatte ich Probleme. Ich hab eben nie den Großkotz gespielt. Aber du willst ja unbedingt was Besseres sein, stimmt’s? Dir macht es Spaß, den Leuten im Nacken zu sitzen.« Ich stelle mir vor, wie ich auf Wolodjas Nacken sitze, und mir wird kotzübel. »Aber ehrlich gesagt, ich habe auch gar nichts anderes von dir erwartet. Ich habe dich von der ersten Sekunde an durchschaut, gleich als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Sag mir doch mal, willst du nicht normal leben oder kannst du nicht? Du willst nicht, stimmt’s? Warum eigentlich nicht?«
    Jetzt platzt mir doch die Hutschnur:
    »Warum ich nicht so sein will wie du? Willst du das wirklich wissen? Weil ich solche Typen wie dich einfach zum Kotzen finde, darum! Als du in deiner Klitsche Flaschenbier verkauft hast, 1995 oder so, da wusste ich schon lange, wie man ganze Lastwagen am russischen Zoll vorbeischleust. Wenn du Freitagnachmittag von der Arbeit zu deiner Datscha
gehetzt bist, um dich zusammen mit deinem Alten in freier Natur zu besaufen, hab ich mir im Pljutsch Extasy eingeworfen und ›Born Slippy‹ von Underworld gehört. Du und ich, wir sind zwei sehr, sehr unterschiedliche Menschen, verstehst du? Wir leben in verschiedenen Welten. Ich mag weder billige Krimiserien noch russischen Rock, ich besitze auch keine CD von Serjoga mit Superhits vom ›Schwarzen Mercedes‹ und so weiter, die ihr euch so gerne reinzieht. Ich lese Houellebecq und Bret Easton Ellis, mag alte Filme mit Marlene Dietrich und fahre auf italienisches Design ab. Mein erstes eigenes Geld habe ich nicht für einen vier Jahre alten BMW mit abgedunkelten Scheiben verplempert wie jeder beschissene Mini-Mafioso, sondern ich hab einen Trip nach Paris gemacht. Und genau das kapierst du eben nicht. Weil du lebst wie deine Eltern gelebt haben und die Eltern deiner Eltern. Das ist alles, was du willst. Eine Frau und ein paar Kinder, sonntags bei den Nachbarn zum Essen, montags verkatert zur Arbeit, und samstags geht ihr alle zusammen ins Einkaufzentrum, wie andere Leute in den Louvre, mit der ganzen Familie und den ganzen Tag. Bei euch macht man das so, und zwar deshalb, weil alle es machen. Und das werde ich niemals verstehen und niemals akzeptieren.«
    »Was willst du dann eigentlich noch hier?«, zischt Guljakin böse. »Das ganze Land ist so wie ich. Von uns , wie du sagst, gibt es mehr als von euch .«
    »Was ich hier will? Ich lebe hier, ich arbeite hier, hier liebe ich die Frauen, habe Spaß. Und vor allem: Mir liegt sehr viel daran, dass sich hier etwas verändert. Ich wünsche mir, dass man die Verkehrspolizisten nicht mehr bestechen muss,
dass unsere Straßen in Schuss gehalten werden, dass unsere Zollbeamten dir nicht mehr deine Koffer auseinandernehmen, wenn du aus Mailand nach Hause kommst, dass man nicht mehr jeden Beamten automatisch für einen Gauner hält, dass eine Brandschutz-Inspektion in deinem Büro nicht mehr bedeutet, dass du ein paar hundert Grüne plus eine Flasche Schnaps abdrücken musst. Und ich wünsche mir, dass das Gesicht der russischen Mode von Tom Ford bestimmt wird und nicht von Slawa Saizew; dass man unsere Musik mit Gruppen wie B-52’s assoziiert und nicht mit Alla Pugatschowa; dass man über Monty Python lacht, nicht über öde Witze von Galkin und Kokljuschkin. Es würde uns allen besser gehen, glaub mir. Aber so weit ist es noch lange nicht, und deshalb verbringe ich meine Zeit mit kleinen Gaunern wie dir. Aber ich denke nicht daran abzuhauen, ich will, dass sich die Verhältnisse in Russland ändern. Verstehst du? Mir ist vollkommen klar, dass der größte Teil der Bevölkerung auf all das, was mir lieb ist,

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