Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
Quäkstimme.
»Das passt doch! Mit dem Typen da ist doch sowieso nichts los.«
»Komm, wir pusten ihm ein bisschen Schnee in die Nase, dann kriegt er Tempo«, kichert Vadim weiter.
Der junge Mann hat inzwischen den Kellner gerufen, und der bringt ihm eilig die Rechnung. Wahrscheinlich ist die Zeche so niedrig, dass er ihre Plätze möglichst schnell für lukrativere Gäste freimachen will. Das Paar erhebt sich und strebt Richtung Ausgang. Im Vorbeigehen wirft uns der Typ einen traurigen und verächtlichen Blick zu, das Mädchen will offensichtlich nur möglichst schnell hier raus. Ich habe plötzlich einen Kloß in der Brust. Es gibt doch nichts Mieseres, als über die Gefühle anderer Menschen zu spotten. Wir sind damit nur deshalb so eifrig, weil wir das nicht kennen und bei unserem Lebensstil wohl auch niemals kennenlernen werden. Ich bin sicher, sollten wir in unserem Leben einmal dergleichen erleben, würden wir eimerweise sentimentalen Schwulst absondern und ein prächtiges Ziel für den Spott unserer Freunde abgeben. Dieser Gedanke löst in meinem Kopf eine Assoziationskette aus, und ich gehe wieder auf die Toilette.
Nachdem ich die nächste Line eingezogen habe, fühle ich mich dermaßen schwermütig und einsam, dass ich ohne auf die Uhrzeit zu achten Julas Nummer wähle.
Das erste Rufzeichen ertönt, dann das zweite, das dritte, das vierte … Jula, Julchen, mein Mädchen, hast du vergessen, dass du ein Handy besitzt, auf dem dich jetzt ein einsamer Psychopath anruft, der endgültig aus der Bahn geworfen wurde, der jeden Halt verloren hat und langsam an dem giftigen Gebräu aus Banalität, Zynismus und Gleichgültigkeit zugrunde geht? Drück einfach auf das grüne Knöpfchen, sag mir, dass du schläfst, dann bin ich schon zufrieden, dann kann ich wieder daran glauben, dass es auf dieser Erde noch Menschen gibt.
»Hallo …«, klingt es endlich aus dem Hörer.
»Hallo«, sage ich mit gepresster Stimme. »Habe ich dich geweckt?«
»Nein, nein, ich bin auf einer Geburtstagsfeier bei einer Freundin. Was ist denn mit deiner Stimme los?«
»Das ist Gram, verstehst du, pure Gram. Diese Stadt hat mich endgültig plattgemacht. Obwohl es dafür wahrscheinlich gar nicht viel braucht.«
»Bist du in Petersburg? Schläfst du wieder nicht?«
»Nein. Ich wollte ein wenig entspannen und habe mich mit einem Freund aus Moskau getroffen. Wir sind in einem Club. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn ich mich ins Bett gelegt hätte. Und morgen früh dann ab in den Zoo. Das Ergebnis wäre bestimmt das Gleiche …«
»Mein kleiner Junge, willst du dich denn völlig zugrunde richten?«
»Reden wir nicht drüber – wie ist deine Party? Ist die Stimmung gut?«
»Ach ja, ganz gut, nichts Besonderes, wie immer halt. Was ist denn mit dir los? Was treibst du da schon wieder?«
»Schon gut. Amüsier dich für mich mit, ja? Mir geht’s ziemlich beschissen, ich glaub, ich gehe schlafen.«
»Ja, tu das. Schlaf dich aus. Du solltest nicht so mit dir umgehen. Fahr nach Haus. Ich bitte dich.«
»Jula, weißt du was? Ich fühle mich gerade wie ein kleiner Junge. Ich möchte ins Hotel fahren und mit dem Telefon im Arm einschlafen. Mit deiner Stimme … Jula, du fehlst mir.«
»Du musst einfach ausschlafen. Morgen früh rufe ich dich an, und dann sieht die Welt schon ganz anders aus, schön und voller Sonne. Möchtest du das?«
Ich höre ihre Stimme, aber ich verstehe kaum, was sie sagt. Ich fühle nur, wie mir ganz warm ums Herz wird.
»Jula, ehrlich, ich fahre ins Hotel und lege mich schlafen. Danke, dass du mit mir gesprochen hast.«
»Rede nicht so einen Unsinn!«
Dann höre ich Stimmen im Hintergrund, und für eine Sekunde glaube ich, auch männliche Stimmen zu erkennen. Es gibt mir einen Stich in die Brust. Mein einziger Gedanke ist, dass ich es nicht ertragen kann, Männerstimmen in ihrer Nähe zu hören, ich sage schnell »Gute Nacht!« und schalte ab. Anschließend versuche ich, mich zu beruhigen, aber die Zündschnur der Eifersucht glimmt bereits, und bei dem Gedanken daran, mit was für Leuten sie dort feiert, wird mir heiß und kalt. Ich begreife, dass ich mir nichts so sehr wünsche wie bei ihr zu sein. Kilometer sind das beste Aphrodisiakum, oder nicht?
Die Petersburger Nacht liegt in den letzten Zügen. Das Publikum ist auf den harten Kern der Clubszene zusammengeschmolzen.
Nur noch vereinzelt schleichen graue Gestalten durch die Räume, verschwinden auf der Toilette, in der Hoffnung, dort auf
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