Seelenkuss / Roman
dass er hereingelegt wurde. Und es ist nett zu wissen, dass eine große Nachfrage nach meiner Lebensessenz bei den allerbesten Leuten herrscht.«
»Er will sie für seinen Plan benutzen, ein Kind zu zeugen.«
Ein Vampir würde seine Seele benutzen, um Ashe weh zu tun? Vor Wut zuckten Reynards Muskeln. Das Denken fiel ihm schwer, trotzdem bemühte er sich, die einzelnen Teile zusammenzufügen. »Wie ich vermutet habe. Lebensessenz zu übertragen stellt ein sehr altes Mittel der schwarzen Magie dar.«
Ashe setzte sich auf und sah ihn an. »Aber warum ausgerechnet deine?«
Reynard überlegte, ob er die Frage beantworten sollte. »Vielleicht weil ich der letzte der alten Wächter war, die in die Burg kamen. Ich war quasi der neueste und, in gewisser Weise, der stärkste.«
»Wie das?«
»Die Feen würden sagen, ich durchbrach das Muster. Nach mir gab es keine Wächter mehr.«
Ashe betrachtete ihn nachdenklich. »Wolltest du, dass es so ist?«
»Ich habe Blut vergossen, um sicherzustellen, dass ich der letzte war«, antwortete er in einem Tonfall, der signalisieren sollte, dass er sich nicht näher dazu äußern wollte. »Ich habe dafür gesorgt, dass es nicht wieder geschieht.«
Er wollte sich nicht an die Schrecken von damals erinnern. Nicht, wenn Ashe hier saß wie ein Versprechen von allem, was neu und rein war.
Ihre frühlingsgrünen Augen ruhten auf seinem Gesicht. »Okay.« Dann stieg sie aus dem Bett.
Reynard folgte ihr, fing ihre Arme ein und küsste sie. Den Dämon und die Urne zu finden bildete den ersten Schritt, aber die Reise zum Glück war plötzlich dringender. Er musste sich beeilen, bevor es ihm wie Wasser durch die Finger rann.
»Mein Name ist Julian«, sagte er und bemerkte, dass es irgendwie aus dem Zusammenhang gerissen wirkte. »Die Wächter benutzen keine Taufnamen, weil sie zu viele Erinnerungen bergen. Es ist einfacher, wenn wir alle Bande zu denen kappen, die wir lieben.«
Die Erklärung hing in der warmen Schlafzimmerluft, drückend wie eine Beichte, was sie ja auch beinhaltete.
Ein erschütterter Ausdruck huschte über Ashes Züge, und dann wurde ihre Miene wieder kühl und scharf wie eine Schwertklinge. »Tja, Julian, wir müssen eine Urne suchen. Gehen wir einen Hund nach einem Dämon fragen!«
Sie nahmen Ashes Dukati Superbike 1198S. Sie liebte ihr knallrotes Motorrad. Sie hatte sich eine größere Maschine mit zwei Sitzen gekauft, als sie entdeckte, dass Holly genauso gern Motorrad fuhr wie sie selbst. Sobald Holly imstande war, Robin für ein oder zwei Stunden der Obhut anderer zu überlassen, hatten sie angefangen, gemeinsam Spritztouren zu unternehmen. Andere Schwestern gingen zusammen zur Mani- oder Pediküre. Die Carvers heizten über die Landstraßen. Was die Nähe zwischen ihnen betraf, funktionierte das bestens.
Für Reynard ebenfalls.
Die technischen Details flöteten an ihm vorbei, aber seinem verzückten Gesichtsausdruck nach hatte diese eine Fahrt den Geschwindigkeits-Junkie in ihm hervorgekitzelt. Er stieg ein bisschen wacklig ab, seine Lippen halb geöffnet vor sprachlosem Staunen. »Ich hatte eine andalusische Stute, aber nicht einmal die war so schnell!«
Ashe nahm ihren Helm ab. Sie hatten den langen Weg zu Lors Werkstatt genommen, weil sie ein bisschen auf dem Highway angeben wollte. Und warum auch nicht? Es war ein wundervoller Frühlingsmorgen, und der Umweg betrug nur wenige Minuten. Lächelnd sah sie ihr Bike an. »Ich liebe dieses Baby. Andererseits bietet ein Pferd wohl eher Gesellschaft.«
»Sie hat gezwackt.« Reynard richtete sich gerade auf. »Ich vermisse sie trotzdem bis heute. Sie hatte eine starke Persönlichkeit.«
Über Pferde zu sprechen schien vollkommen natürlich. Sie standen auf einem alten Parkplatz hinter Ziegelsteinbauten, die vor langer Zeit als Lagerhallen gedient hatten. Alter und Umweltverschmutzung hatten den Namenszug des Futterhandels auf Höhe des dritten Stocks an dem betagten Gebäude vor ihnen geschwärzt. Die holprige Gasse, die dorthin führte, hätte durchaus noch für Karren statt für Autos angelegt worden sein können. Einzig die Telefonmasten und ein zerbeulter Müllcontainer störten den Eindruck, in die Vergangenheit einzutauchen.
Als sie den Parkplatz überquerten, war die Luft von sonnengewärmter Erde und Autoabgasen schwer. »Die Einheimischen nennen diesen Teil der Stadt ›Spookytown‹, weil hier die meisten Nichtmenschlichen Fairviews wohnen.«
Reynard blickte sich von einer Seite zur anderen
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