Seelenkuss / Roman
enervierende Feenprinz sich nicht eingemischt. Wir haben unsere Gelegenheit versäumt.«
Gelegenheit wofür? Dass ich dir zu Füßen falle?
Einen Moment lang starrte sie erbost auf das Telefon. Auf jeden Fall würde sie, wenn Reynard erst fort wäre, nicht unter Beschäftigungsmangel leiden – auch wenn sie sich alle Mühe gab, nicht daran zu denken, dass er weggehen würde. Bei dieser Vorstellung fühlte sie sich hohl, wie eine Nuss, deren Inneres längst zu Staub zerfallen war. »Ich unterhalte mich nicht mit dir, Blutsauger. Steck dir deine kranken Phantasien sonst wohin und verzieh dich!«
Er lachte tief, und dass er amüsiert klang, machte Ashe noch wütender.
Sie hörte, wie Holly und Reynard die Küche verließen und sich in die Bibliothek hinten im Haus zurückzogen. Reynard fragte etwas über den Orden, und Holly bot ihm an, in einem ihrer Bücher nachzuschlagen, was es damit auf sich hatte. Plötzlich kam Ashe sich schrecklich allein vor.
»Willst du nicht wissen, weshalb ich anrufe?«
»Nein. Ich bezweifle, dass du mir irgendetwas Interessantes zu erzählen hast.«
Belenos seufzte, und das Geräusch klang so nahe, dass Ashe glaubte, seinen Atem auf ihrer Wange zu spüren. »Du irrst, solltest du mich für jemanden halten, der schnell aufgibt.«
»Ich halte dich eher für jemanden mit zu wenig Hirn. Du kannst diesen Trip vielleicht noch als einen Versuch ausgeben, ein mieses Geschäft zu retten, nachdem dein Dieb sich als Betrüger entpuppt hat. Aber solltest du hier weiter Leuten auf den Keks gehen, kommt das einer Kriegserklärung an die hiesige Vampirkönigin gleich. Wenn du das durchziehst, gibt es keine Gewinner mehr.«
»Möglicherweise befinden wir uns bereits im Krieg«, entgegnete Belenos ruhig. »Ich beschütze dich, wenn du mich lässt. Und ich würde sogar die schützen, die dir am Herzen liegen, falls du mich bittest.«
Ashe merkte, wie sich ihre Nackenmuskeln anspannten. »Was redest du denn da?«
»Hast du den Heckenschützen vergessen, den du getötet hast? Ich habe ihn gewiss nicht geschickt. Also, wer will dich tot sehen? Haben diejenigen aufgegeben? Eventuell weiß ich eine Antwort.«
Ashe öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber leider blieb ihr die Luft weg. Der Heckenschütze! Nein, sie hatte ihn nicht vergessen, nur war zu vieles geschehen, als dass sie über eine nicht unmittelbare Bedrohung nachgrübeln konnte.
»Ich bin in einer Stunde am Grab deiner Mutter.«
Das Telefon piepte, dann erklang das Freizeichen. Ashe drückte die Aus-Taste.
»Verdammt!« Sie sank auf einen Sessel. Während des Telefonats hatte das Dämmerlicht die Zimmerecken weiter verdunkelt.
Vor wenigen Momenten noch war das Dunkel harmlos gewesen; nun wirkte es beängstigend.
Was für ein verfluchtes Spiel treibt Belenos?
Stellte er ihr eine raffinierte Falle, damit sie zu ihm gekrochen kam und ihn um Schutz anflehte? Oder sprach er die Wahrheit? Gab es noch einen Killer, auf dessen Liste ihr Name stand?
Nein, es handelte sich garantiert um eine eine Falle, und der Kerl war arrogant genug zu denken, dass sie artig anmarschiert kam.
Es war durchaus verlockend, sich ihren Pflock zu schnappen und hinzumarschieren. Ashe hätte nichts gegen einen
richtigen
anstelle dieser vagen, gesichtslosen Gegner gehabt. Keine Stimme am Telefon, keine Gestalt in ihren Träumen. Kein Heckenschütze auf einem Hügel. Ihre Schultern verspannten sich und kündigten den Beginn fieser Kopfschmerzen an.
Zeit verstrich. Ashe war nicht sicher, wie viele Minuten sie dasaß und überlegte, was seit dem Phouka im Botanischen Garten alles passiert war. Es gab eine Verbindung, vielleicht eine ganz offensichtliche, die sie übersah.
Sie hörte, wie Alessandro ging, seinen T-Bird-Motor anließ und wegfuhr. Er wollte einige seiner Freunde vom Flughafen-Shuttle abholen. Die Übernatürlichen waren auf die Lage in Fairview aufmerksam geworden und machten mobil.
Wurde aber auch höchste Zeit!
Ashe fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Häschen. Dämon. Vampir. Feenprinz. Ja, Miru-kai käme in Frage. Wer von ihnen wünschte sich Ashes Tod am meisten?
Was sollte sie mit Eden tun? Ashe dachte an die eine gruselige Nacht in Spanien, als sie aufgewacht war und einen Vampir entdeckt hatte, der sich durch den Flur zu Edens Schlafzimmer schlich. Natürlich hatte sie ihn umgebracht. Hinterher überkam sie eine Heulattacke. Bis zu jener Nacht hatte sie nie echte Angst gehabt. Was sollte sie diesmal machen? Eden fortschicken oder
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