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Seelenkuss / Roman

Seelenkuss / Roman

Titel: Seelenkuss / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Ashwood
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vorbei in das kühle dunkle Zimmer. Er nahm eine Kerze in die Hand und blies sachte auf den Docht, worauf eine Flamme erblühte. Mit einer Hand schirmte er das Licht von der Gestalt ab, die schlafend im Bett lag: ein sehr, sehr alter Mann.
    Eine Mischung aus Kummer und Angst legte sich bleiern auf Miru-kais Herz. Die Atemzüge des Schlafenden schienen zu laut, zu rasselnd. Mit jedem Ticken der Uhr ertränkte ihn das Alter unbarmherziger.
    Ja, die Burg hatte sich im letzten Jahr verändert, und größtenteils zum Besseren.
    Frühling lag in der Luft wie eine strahlend grüne Narretei. Seit langem tote Wälder erwachten zu neuem Leben. Aber für diejenigen, die nicht wahrhaft unsterblich waren, hatte der gnadenlose Lauf der Zeit übernommen. Mit derselben düsteren Faszination, mit der man einen Alptraum durchlebte, musste Miru-kai mit ansehen, wie sterbliche Freunde verfielen und starben, Tag für Tag für Tag. Die Rückkehr des Lebens in die Burg forderte einen grausamen Zoll.
    Ein Teil von Miru-kai wollte ihn bereitwillig zahlen. Er begriff, dass Veränderungen die notwendige Voraussetzung für wahres Leben schufen, selbst für eine Dunkelfee. Aber diese eine Veränderung konnte er nicht hinnehmen.
    »Simeon«, flüsterte er in dem zwiegespaltenen Wunsch, den alten Mann zu wecken und weiterschlafen zu lassen. Im Schlaf litt er keine Schmerzen. Dieser Mann, dieser sterbliche Krieger, der gelacht und Ale getrunken hatte, war der herzliche, ermutigende Vater gewesen, nach dem Miru-kai sich sehnte. Dieser
Held
verdiente den bedeutungslosen, säuerlich stinkenden Sterblichentod nicht.
    Die Lider des Mannes, schrumpelig wie Winterlaub, flatterten auf. »Kai?«
    Der Prinz stellte die Kerze auf den Nachttisch und kniete sich hin, um den Alten besser sehen zu können. »Simeon, wie geht es dir?«
    »Ich bin zufrieden.«
    »Kein Grund zu scherzen, alter Freund.«
    »Ich scherze nicht. Die Wachposten erzählten mir vom Regen.«
    Miru-kai runzelte die Stirn. »Regen?«
    Simeons Hand kroch unter den Decken hervor und suchte nach der des Prinzen. »Im Osten hat es geregnet. Die Burg erwacht wirklich wieder zum Leben. Die Wachposten fingen den Regen in ihren Helmen auf und tranken ihn. Sie sagten, es wäre das Süßeste, was ihnen jemals über die Zunge rann.«
    »Natürlich. Ich möchte mir lieber nicht ausmalen, wo ihre Zungen schon waren.«
    Simeon drückte seine Hand zittrig und ließ sie los. »Kai, sei ausnahmsweise einmal ernst! Das ist etwas Gutes. Man sollte es feiern.«
    »Ja, wir werden ausgelassen feiern, gleich wenn es dir wieder besser geht.«
    Simeon schloss seine Augen. Er musste die Worte nicht aussprechen, die Miru-kai so oft gehört hatte:
Ich gehe, mein Junge. Leb wohl.
    Miru-kai war der mächtigste Warlord in der Burg, aber was hieß das schon?
    Dunkelfeen mit ihrer einzelgängerischen Natur schlossen selten Freundschaften, und die wenigen Freunde, die Miru-kai hatte, waren sterbliche Saufkumpane, Piraten und Diebe wie er. Wie Simeon, der ihn alles über den Schwertkampf, das Verhandeln und die Schlacht gelehrt hatte.
    Miru-kai hatte das
Fernsehen
gesehen. Die Welt, wie Simeon und er sie kannten, war fort, ersetzt durch eine gänzlich fremde Landschaft. Zu viel geschah, was er nicht verstand. Deshalb brauchte er Simeon an seiner Seite. Sein alter Freund konnte so vielen rätselhaften Dingen einen Sinn abringen – jenen Problemen, die Zauberei oder List nicht zu lösen vermochten. Angelegenheiten, die einzig ein sterbliches Herz entschlüsselte.
    Also musste der Prinz ändern, was er nicht hinnehmen konnte.
    Die Dunkelfeen glaubten an ein festes Geflecht aus Ursache und Wirkung, aus Naturgesetzen und göttlichen Befehlen, das sie »das Webmuster« nannten. Es bestimmte, was durch Wahl und was vom Schicksal entschieden wurde.
    Sie glaubten außerdem, dass dieses Muster durch gute oder schlechte Taten geändert werden konnte. Als Mac seine Menschlichkeit geopfert hatte, um die Burg zu retten, änderte er es. Hatte man den Kreislauf von Leben und Tod einst aus der Burg weggeschnippt, war er nun wieder ins Muster gewebt worden.
    Dasselbe Opfer hatte Simeons Lebensfaden beendet, doch Miru-kai war gewillt, den Weber zu spielen. Er war ein Meister der Magie, der hellen wie der dunklen.
    Er zog die Urne aus den Falten seines Gewands und bereitete seinen Geist auf den Zauber vor.
     
    Bis Ashe den Botanischen Garten verlassen, ihre Tochter bei ihrer Schwester abgeholt hatte und mit ihr zu Hause ankam, war es

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