Seelenkuss / Roman
ganze Burg davon wissen kann.«
Sie sahen einander lange genug an, dass Miru-kais Nacken schon wehtat, weil er zu dem großen Dämon aufschauen musste.
»Sie haben uns in einen Hinterhalt gelockt«, entgegnete Mac kühl. »Stewart wäre fast gestorben. Also erzählen Sie mir nichts von Trauer!«
Der Prinz hatte von einem verwundeten Wächter gehört, nicht jedoch, welcher es war. Und er bedauerte es ehrlich. »Ich wollte lediglich verschwinden, daher bat ich meine Untertanen, Sie abzulenken, was sie übertrieben haben. Mir tut leid, dass der junge Wächter verletzt wurde. Es war ganz und gar nicht meine Absicht.«
»Ich glaube Ihnen nicht.«
Miru-kai zuckte mit den Schultern. »Wie Sie wollen. Zumindest lebt Stewart. Meine Männer hingegen starben.«
»Tja, Pech! Vielleicht hätten Sie sie nicht losschicken sollen, um Ihre Drecksarbeit zu machen.«
»Nennen Sie es Drecksarbeit, meinen Rückzug zu sichern?«
»Ja, wenn Sie sich mit einem Dieb verbünden.«
»Ich
bin
ein Dieb.«
»Und Sie haben die Stirn, hierher zurückzukehren?«
Miru-kai lächelte verhalten. »Ich bin nicht der Dieb, den Sie suchen. Herzukommen ist recht ungefährlich für mich. Sie sind viel zu erpicht auf das, was ich zu sagen haben könnte, als dass Sie Ihre kleine Waffe abfeuern würden.«
»Ach ja?«
»Falls ich mich täusche, nur zu – schießen Sie, Dämon!«
Endlich senkte Mac seine Waffe.
Der Knoten in Miru-kais Bauch lockerte sich. Er hatte stets ein Wortgefecht dem blutigeren Pendant vorgezogen. Immerhin war er klüger als die meisten anderen. »Trinken Sie mit mir! Trinken Sie zu Ehren Simeons.«
Mac setzte sich wieder. Er sah wütend, verwirrt und skeptisch aus. »Ihr Verlust tut mir leid, aber wozu brauchen Sie einen Menschen?«
»Meine Höflinge sind Dunkelfeen, genau wie ich«, erklärte Miru-kai leise. »Simeon war ein Sterblicher. Er kam mit mir zusammen hierher, als Mitglied meines Hofstaats.«
»Und?«
»Es scheint mir nur angemessen, dass ein anderer Mensch – oder jemand, der einst menschlich war – seinen Tod zur Kenntnis nimmt.« Miru-kai verstummte für einen Moment, ehe ihm eine Frage über die Lippen kam, die er nicht hatte stellen wollen. »Er starb einen friedlichen Tod, was ich jedoch nicht verstehe. Wie könnt ihr mit dem Wissen leben, dass eure Tage gezählt sind?«
Mac öffnete eine der alten Metallschubladen in seinem Schreibtisch und nahm zwei Gläser sowie eine Flasche Scotch heraus. Im Licht der Tischlampe schimmerte der Whisky golden. »Man tut es eben. Es ist ja nicht so, dass man eine Wahl hätte. Man denkt nicht darüber nach.«
Miru-kai schüttelte den Kopf. »Dadurch erscheint so vieles nichtig.« Seine Offenheit verblüffte ihn selbst.
Wie ungewöhnlich für mich! Mag sein, dass man sich durch Trauer seltsam benimmt.
»Ich habe jetzt die Lebenserwartung eines Dämons«, sagte Mac achselzuckend. »Was allerdings nicht viel verändert. Ich arbeite, abends küsse ich mein Mädchen und sehe mir Spiele an. Entscheidend ist die Qualität der Erfahrungen, nicht die Quantität.«
Miru-kai seufzte. »Wir – die Gefangenen hier – sehnten uns sehr danach, aus der ewigen Dunkelheit befreit zu werden. Welche Ironie, dass mit der Rückkehr der Natur in die Burg auch der Tod Einkehr hält!«
Mac blinzelte. »Ist es das, was mit Ihrem Freund geschah?«
»Ja.« Auf einmal fühlte er sich bloßgestellt. Er wies auf die Scotch-Flasche. »Sie bieten Ihren eigenen Vorrat an. Glauben Sie, ich wollte Sie vergiften?«
»Sagen wir, ich teile gern.« Der Dämon schraubte den Verschluss von seiner Flasche und goss eine kleine Menge in jedes Glas. »Also, was haben Sie in dem Tresorraum der Wachen gesucht?«
Miru-kai verzog das Gesicht. Wieder schlug Mac den Ton wie bei einem Verhör an. Er war ein menschlicher Polizist gewesen, genau wie jene in der Fernsehsendung
Law & Order
. »Ah ja, der Tresorraum. Ich hatte gehofft, in der Wächterkammer ein Heilmittel für meinen Freund zu finden, was mir nicht gelang. Nun ist er tot.«
»Sie hätten um Hilfe bitten können. Wir hätten versucht, etwas für ihn zu tun.«
»Am Ende befand sich nichts in dem Raum, das mir hätte helfen können. Und nichts, das Sie mir zu nehmen erlaubt hätten.«
»Demnach hat nur zufällig irgendjemand Reynards Seele gestohlen?«
»Ich habe seine Urne nicht genommen. Hätte ich es, würde mein Freund noch leben.«
Mac schwieg, doch die Stille war betäubend.
Der Prinz roch an dem Scotch. »Dies ist besser als der
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