Seelenkuss
dem Ausdruck in seinen Augen zurück. » Etwas in mir erinnert sich daran, wie man kämpft. Es wird sich auch daran erinnern, was ich tun muss, um diesem Kind zu helfen. « Erneut fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. » Du wirst mich nicht daran hindern! «
Darejan ballte die Fäuste und schob das Kinn vor. » Und was, wenn nicht? Warum musst ausgerechnet du es sein, der dieses Wagnis eingeht? Du bist krank und erschöpft. Dein Verstand… « Unwillig wedelte sie mit der Hand, ehe er sie erneut unterbrechen konnte. » Dieses Mädchen, Mirija, war der Lehrling eines Nekromanten, sie könnte es ebenso versuchen. «
Er schnaubte. » Eben weil sie nur der Lehrling eines Nekromanten war, kann sie es nicht tun. Sie ist noch zu schwach. Wahrscheinlich ist sie niemals zuvor in den Schleier gegangen. Sie wäre in ihm ebenso verloren wie die Kleine. «
» Das kannst du nicht wissen. Und außerdem: Wie kannst du so sicher sein, dass du es schaffst, sie zurückzuholen? «
» Ein Nekromant kann nicht weit genug in den Schleier hinein– nicht so weit wie eine Klinge der Seelen. Sie haben in ihm keine Macht. « Er legte den Kopf in den Nacken und blickte zum nachtschwarzen Himmel empor. » Es ist meine Pflicht, es zumindest zu versuchen! «
» Deine Pflicht? Und was ist, wenn diese Pflicht auch noch den letzten Rest deiner Kraft aufzehrt? Was ist, wenn sie dich tötet? «
Seine Dämonenaugen kehrten zu ihr zurück. Einen Moment hing drückendes Schweigen zwischen ihnen, bis er langsam den Atem ausstieß und mit einem seltsam müden » Dann soll es so sein, Hexe! « aufstand und davonging. Darejan starrte ihm selbst dann noch nach, als er schon in der Dunkelheit verschwunden war. Schließlich war sie es, die das Gesicht in den Händen vergrub.
Ein leises Räuspern ließ Darejan irgendwann aufblicken. Das Mädchen mit den blonden Haaren, Lisjar, stand am Rand des Feuerscheins und sah sie scheu an.
» Es ist alles bereit. Sie warten auf euch. Ich soll euch zu ihnen bringen « , brachte es schließlich schüchtern hervor und machte einen Knicks. Verwundert darüber, dass sie bei diesem Wahnsinn zugegen sein sollte, ließ Darejan die Arme sinken und stand steif auf. Das Mädchen knickste erneut und ging rasch vor ihr her.
Es führte sie an den Feuern der Flüchtlinge vorbei, ein kurzes Stück weit in den Wald hinein, bis zu einer Stelle, an der die Bäume etwas weiter auseinanderstanden. Der Boden war mit Blättern bedeckt, die leise im Windhauch raschelten. Jemand hatte mehrere Fackeln in den Boden gerammt, die alles in unruhiges Licht tauchten. Am Fuß eines der Bäume kniete Mirija vor einer flachen hölzernen Schale, die bis zum Rand mit Wasser gefüllt war. In ihrer Mitte erhob sich über die dunkel schimmernde Oberfläche ein Kegel zusammengepresster Erde, auf der eine Handvoll dünner Zweige lagen, die die junge Frau gerade anzünden wollte. Ein kleines Kästchen aus hellem Stein stand neben ihr.
Das Mädchen ging zu ihr und flüsterte ihr etwas zu, worauf sie den Kopf hob und mit einem Nicken kurz zu Darejan herüberblickte, ehe sie sich wieder den letzten Vorbereitungen widmete.
In respektvollem Abstand zu Mirija drängten sich ein paar Frauen und alte Männer zusammen. Einer von ihnen hielt die Kleine im Arm, deren Seele im Schleier gefangen war. Sie blickten immer wieder zu Oqwen hin, der mit einigen seiner Krieger am Rand der kleinen Lichtung stand und alles beobachtete. Der Ausdruck des Isârden ließ keinen Zweifel daran, was er von alldem hier hielt.
Etwas abseits entdeckte Darejan schließlich auch den DúnAnór. Er stand bewegungslos zwischen den Bäumen– und hob ruckartig den Kopf, als Mirija ihm » Es ist alles bereit « zurief. Ein letztes Zögern, dann kam er langsam herüber, ließ sich mit untergeschlagenen Beinen zwischen der wassergefüllten Schale und dem Baum nieder und setzte sich mit dem Rücken bequem an dessen Stamm. Die junge Frau drehte sich schweigend um, nickte zu den Dorfbewohnern hin. Der Mann trug den wie leblos über seinen Armen hängenden Körper des Mädchens zu ihnen her. Behutsam legte er die Kleine auf den Schoß des DúnAnór und half ihm, sie gegen seine Brust zu lehnen, ehe er ihr noch einmal über den Kopf strich und sich nach einer respektvollen Verbeugung zurückzog. Ein Wink Mirijas brachte die Dorfbewohner dazu, sich noch weiter zu entfernen. Dann bedeutete sie Darejan, sich ihm gegenüber auf die andere Seite der hölzernen Schale zu knien, griff in das Kästchen und
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