Seelenkuss

liegt er genauso leblos da wie zuvor. « Einen Moment lang beobachtete die Kriegerin schweigend Darejans Hände, die abwesend die Stirn des DúnAnór streichelten, ehe sie sie wieder ansah. » Auch wenn ihr keine Nekromantia seid, bin ich sicher, dass eigentlich ihr im Schleier wart. Was auch immer dort geschehen ist, irgendwie habt ihr ihn gefunden und ihm den Weg zurück gezeigt. Jetzt ist es an ihm, diesem Weg weiter zu folgen. Wir können wie zuvor nur warten. « Sie wandte sich dem Feuer zu und legte neues Holz in seine Flammen, die sofort begierig darüberleckten.
    » Cjar. «
    » Was? « Überrascht blickte sie Darejan an.
    » Das war, was er geschrien hat: Cjar. Es war der Name seines Seelenbruders. «
    Cjar, der es liebte, in der Sonne hoch auf den Klippen zu dösen. Cjar, der eine Schwäche für Schwarzsalme hatte. Roh. Sie starrte in die Flammen. In den Klippen von Kahel. Eine fast unzugängliche Bucht. Ihr Lieblingsplatz, den niemand kannte, an dem niemand sie störte. Sie war den schmalen Pfad zwischen den Klippen hinabgeklettert. Doch als sie sich zwischen den letzten Felsen hindurchzwängte, entdeckte sie die Kreatur, halb Adler, halb Pferd. Zwischen ihren schimmernden Raubvogelklauen lag der glänzende Körper eines großen Schwarzsalms. Der gebogene Schnabel hatte bereits tiefe Löcher in den Körper des Fisches gerissen. Jetzt hob die Kreatur den Kopf. Ein goldenes Adlerauge maß sie lange. Mit einem Rascheln entfalteten sich die mächtigen Schwingen. Sie stolperte mit einem erschrockenen Keuchen zurück.
    » Er wird euch nichts tun. Habt keine Angst! « Die Stimme erklang hinter ihr und ließ sie herumfahren. Zwischen den Klippen erhob sich ein Mann aus dem Sand. Er bewegte sich mit einer gelassenen Eleganz, die sie unwillkürlich an Réf erinnerte. Treibholz war in einer Kuhle aufgeschichtet, wartete darauf, angezündet zu werden. Daneben lagen Satteltaschen und Wasserschlauch. Und ein Schwert. Die Sonne fing sich in einem ockerfarbenen Edelstein, der in den Knauf eingelassen war. Er machte einen Schritt auf sie zu, stieß dabei wie versehentlich einen wollenen Reitermantel über die Waffe. Sie wich vor ihm zurück. Die Hände beschwichtigend ausgestreckt, blieb er stehen. In und über seiner Braue blitzte es. Sie erkannte die glitzernden Linien von Edelsteintätowierungen. Einer aus dem Volk der Jarhaal.
    » Wer seid ihr? Was wollt ihr hier? « Ihr Blick huschte zwischen dem Mann und der Kreatur hin und her.
    » Wir wollen euch nichts Böses « , versicherte er, ohne ihre Frage tatsächlich zu beantworten. Seine hellen Augen musterten sie eingehend. Sie schluckte, als sie den dunklen Ring um das von grünvioletten Flecken durchsetzte Silber seiner Pupille bemerkte. Dämonenaugen.
    Mit einiger Mühe riss sie den Blick von ihm los, deutete auf das Wesen. » Was ist das für ein Vieh? «
    » Kein Vieh. Ein ChaiDren. Sein Name ist CjarDar. « Seine Augen wurden für die Dauer eines Lidschlags leer, dann glitt ein Lächeln über seine Lippen. » Und er ist kein › Es ‹ , sondern ein › Er ‹ . « In einer Bewegung, die er schon unzählige Male gemacht haben musste, hakte er das Haar hinter ein Ohrläppchen. Auch hier glitzerten goldene Edelsteinlinien. » Er ist mein Seelenbruder. «
    » KâlTeiréen. « Von ihnen sprachen Legenden.
    Die Kreatur – der ChaiDren – schüttelte seine Schwingen und scharrte mit einer Klaue im Sand. Sie wich zurück.
    » Verzeiht, aber er ist hungrig … «
    » Ich wollte nicht stören. « Sie machte hastig einen weiteren Schritt zurück, stieß gegen die Felsen. Wenn sie beabsichtigt hatte, dies nicht wie eine Flucht aussehen zu lassen, so war sie gerade gescheitert.
    » Wartet! « Eben hatte sie nach dem ersten Tritt getastet, als seine Stimme sie zurückhielt. » Seid ihr aus Kahel? «
    » Ja. « Sie ließ die Hand sinken, nickte zögernd.
    » Könnt ihr mir sagen, welches das nächstgelegene Tor ist? Und wie ich von dort ins Jewan-Viertel komme? «
    » Was wollt ihr dort? «
    » Jemanden besuchen. « In seinem Ton klang milde Belustigung. » Allerdings … Wenn ihr jetzt nach Kahel zurückkehren wollt, könnte ich euch begleiten. «
    » Nein! « Das Wort kam heftiger über ihre Lippen, als sie beabsichtigt hatte.
    » Nein? « Verblüfft hob er die Brauen. » Nein, ihr wollt jetzt nicht nach Kahel zurück, oder nein, ihr wollt nicht, dass ich euch begleite … « Begreifen malte sich in seinen Zügen. » Ich verstehe. Eurer Kleidung nach zu urteilen, seid ihr