Seelenkuss
Kopf. » Verzeih mir, Bruder. Ich möchte den Schmerz beenden, aber sie erlauben es nicht. Verzeih mir « , flehte er lautlos. Er erhielt keine Antwort, doch die Berührung zog sich zurück. Und trotzdem wusste Javreen, dass er immer noch da war.
Er merkte, dass er viel zu schnell durch den Nebel hastete, als es zu spät war. Etwas war über ihm und Rejaan, ehe er reagieren konnte. Er hörte sie noch einen gellenden Schrei ausstoßen, dann hatte es ihn von den Beinen geholt und in den Nebel gezerrt. Das kalte Brennen über seinem Herzen erinnerte ihn höhnisch daran, dass da nichts war, was ihn vor dieser Seelenkreatur schützen konnte. Sie schien es zu wissen, denn sie verbiss sich in seine Schulter. Schmerz verbrannte seine Knochen. Er schrie. Eine dunkle, verdorbene Präsenz hüllte ihn ein, wühlte sich durch seine Haut und sein Schrei steigerte sich zu einem Brüllen, während er spürte, wie sich die Kreatur von seinem Leben nährte. Seine Hand tastete zu seiner Hüfte, ehe er sich erinnerte, dass er dort kein Schwert finden würde. In der Stille war nur Rejaans verzweifeltes Keuchen zu hören. Schwäche rann wie Gift durch seine Adern. Er hatte den Tod herbeigesehnt. Aber nicht so! Wenn die Kreatur mit ihm fertig war, würde sie sich Rejaan holen. Zwei Leben zum Preis von einem. Deshalb hatte sie sich zuerst auf ihn gestürzt. Er krallte die Finger in etwas, das sich wie faules Fleisch anfühlte, zerrte daran und schlug gleichzeitig mit seinem Geist zu. Die Präsenz zuckte, heulte lautlos und riss weiter an seinem Körper und seiner Seele, zehrte gierig von seinem Leben. Er konnte spüren, dass sein Körper ihm bereits nicht mehr gehorchte. Es wäre so einfach. Er musste nur aufhören zu kämpfen. Sich einfach nur ergeben. Rejaans verzweifelter Schrei erreichte ihn nur noch wie aus weiter Ferne. Der Schmerz darin zerriss etwas in seinem Inneren. Mit einem Heulen bäumte er sich auf, hieb noch einmal zu. Eine sanfte Berührung in seinem Geist, eine Kraft, die seine verstärkte. So vertraut! Er schrie erneut und sein Schrei mischte sich mit dem schweigenden Kreischen der Kreatur. Sie zuckte zurück, ließ von ihm ab. Doch sein Geist war noch immer in ihrem, und er vernichtete mit verzweifelter Wucht, was von ihr übrig geblieben war. Dann taumelte er auf die Füße, stolperte, fiel gegen einen aus dem Grau des Nebels aufragenden Felsbrocken. Rejaan und die zweite Seelenkreatur, die sich auf sie gestürzt hatte, waren nicht mehr als eine Bewegung, die das fahle Schimmern aufwirbelte. Aber es war nicht nötig zu sehen, wenn er spüren konnte. Er fand den Geist der zweiten Kreatur, spürte ihre Gier nach Leben. Sie war schwächer als die erste. Wieder war da jene sanfte Berührung an seinem eigenen Geist. Sie trieb ihm ein Schluchzen in die Kehle, während er erneut zuschlug. Die Präsenz bäumte sich auf, kreischte in lautloser Wut und verging. Der Nebel kam zur Ruhe. Mühsam löste er sich von dem Felsen, wankte dorthin, wo er Rejaan vermutete. Im ersten Augenblick zuckte sie vor seinen Händen zurück, doch dann flüchtete sie sich zitternd in seine Arme. Er hielt sie fest, sah über sie hinweg zu der Gestalt, die reglos in dem Grau stand und seinen Blick erwiderte, bis er es nicht mehr ertrug. Behutsam machte er sich von Rejaan los, stand auf und ging zu der Seele hinüber. Die Hand, die er nach ihr ausstreckte, zitterte. Er glaubte, das silberne Gefieder rascheln zu hören, als sich ihm der gebogene Schnabel entgegenstreckte. Sein Blick verschwamm, seine Hand fiel kraftlos herab, während er schluchzend auf die Knie sank. Er rollte sich in der Kälte des Nebels zusammen und weinte und wusste, dass der andere Teil seiner Seele direkt neben ihm war und eine seiner mächtigen Schwingen schützend über ihn gebreitet hatte, und dass es ihm verboten war, ihn zu berühren und dem Schmerz ein Ende zu setzen.
» Er ist fort. « Rejaans Stimme ließ ihn irgendwann die Augen öffnen.
» Ja. « Er presste die Handfläche auf den beißend kalten Boden. Es war ihm bewusst, dass ihre Worte keine Frage waren, dennoch beantwortete er sie. Er hatte gespürt, wie Cjar gegangen war, weil keiner von ihnen die Qual noch länger hatte ertragen können. Und dennoch hatte er seine Gegenwart jeden einzelnen Herzschlag genossen. Dass sie den Schmerz ins Unermessliche gesteigert hatte, war bedeutungslos. Zitternd sog er die Luft ein und setzte sich auf. Seine Brust brannte, als hätte er die ganze Zeit über nicht einen Atemzug
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