Seelenkuss
tückisches Lächeln über Königin Selorans Lippen. Vielleicht sollte er sie als Köder benutzen. Es hatte schon einmal funktioniert.
10
D er Schmerz zwischen seinen Schulterblättern hatte sich in ein dumpfes Pochen verwandelt, das die zähen Schleier in seinem Kopf kaum zu durchdringen vermochte. Sein Oberschenkel schien in Flammen zu stehen. Mit seinem Bewusstsein kehrte auch seine Erinnerung zurück. Kälte war um ihn her. Eine Gestalt beugte sich über ihn. Seloran? Plötzlich zitternd presste er sich gegen die Mauer. Ein blendender Feuerball schwebte neben ihr. Der Schlag, der ihn zu Boden geworfen hatte … Die Erkenntnis, dass Pfeile ihn in den Rücken und das Bein getroffen hatten … Sie hatten ihn vor Seloran geschleppt…– Nein, nicht Seloran! Er kauerte sich weiter zusammen. Die Worte. Die Lippen auf seinem Mund. Unaussprechliche Qual… Das höhnische » Ich werde erfahren, was ich zu erfahren wünsche! « . Die Erleichterung, als die Soldlinge ihn aus dem Raum schleppten, in den Kerker hinunter, wo sie ihn in Ketten legten. Dann waren die Grauen gekommen. Stimmen, die direkt in seinem Verstand zu zischeln schienen. Immer nur die gleichen Worte: Wo ist er? Er hatte geschwiegen– und die Berührung der Grauen hatte ihm eine vage Ahnung davon gegeben, was sie dem Jarhaal Nacht für Nacht angetan hatten. Inzwischen war er sich nicht mehr sicher, ob er ihnen nicht doch geantwortet hatte. Der Feuerball schwebte näher heran. Heiß! Hände schlossen sich um seine Schultern. Er zuckte in Erwartung jener seelenverbrennenden Kälte zurück.
» Réfen! « Nur allmählich begriff er, dass er dieses eine Wort kannte, dass er die Stimme kannte und die Gestalt, die sich über ihn beugte– und dass es nicht Seloran war. » Réf? Kannst du mich hören? Antworte mir! « Aus dem bisher unverständlichen Gelalle wurden verständliche, besorgt hervorgestoßene Sätze.
» Darejan? « Er wusste nicht, ob seine Zunge ihm gehorchte. Unerklärlicherweise hatte er den salzigkupfernen Geschmack von Blut im Mund. Nur langsam klärte sich sein Blick und aus der Gestalt wurde tatsächlich Darejan. Der Feuerball war eine Fackel, die sie über ihm in eine Mauerspalte gesteckt hatte. Doch die Flammen verschwammen sogleich wieder zu verwaschenem Orange. Kälte nagte in seinen Glieder. Wie lange schon? Zitternd zog er Arme und Beine enger an den Leib, beobachtete die fahlen Wolken, die sein Atem waren, während sein Verstand zurückdriftete in den Nebel und Darejans Worte darin versanken. Er wurde an den Schultern gepackt und geschüttelt, was ihm einen qualvollen Schrei entlockte. Hitze rann über seinen Rücken. Eine sanfte Berührung, der Schmerz verebbte, nahm den Nebel mit sich. Wärme breitet sich über ihn. Darejans Gesicht war dicht vor seinem. » Sag mir, dass es nicht wahr ist! « , verlangte ihre Stimme bebend. » Sag mir, dass du mit der ganzen Sache nichts zu tun hast! Bitte Réf! Sag es! « Ihre Finger nestelten am Stoff ihres Mantels, den sie über ihn gebreitet hatte. » Du bist kein Verräter, Réf! Das glaube ich nicht! « Keine Spanne von seiner Nase entfernt schlossen sich ihre Hände zu Fäusten. » Seloran lässt nach dem Spion suchen. Niemand weiß es, aber auch die Grauen durchkämmen die ganze Stadt. Sie werden die Kerle aufspüren, die ihm geholfen haben, das verspreche ich dir! « Sie beugte sich näher zu ihm. Réfen klammerte sich an den Klang ihrer Stimme. Versuchte zu begreifen, was ihre Worte bedeuteten. Nein! Die Grauen! Nein! » Du wirst sehen, dann wird sich deine Unschuld schon erweisen… « Sie verstummte, starrte auf seine Hand, die sich um ihre geschlossen hatte. Die sie noch näher heranzog. Seine Ketten klirrten leise über den Boden. » Kajlan! In der Lagunenstadt! « Wieder wusste er nicht, ob seine Zunge ihm gehorchte. » Sag es ihr! « Der Geschmack von Blut war erneut in seinem Mund. » Sag ihr, die Grauen suchen den Jarhaal. « Der Ausdruck in ihren Augen zeigte ihm, dass die Worte tatsächlich über seine Lippen gekommen waren. Er sah, wie sich etwas in ihrem Blick veränderte. Im gleichen Moment entriss sie ihm ihre Hand, stolperte zurück. » Verräter! « Die Anklage schmerzte mehr als die Wunden in seinem Rücken und seinem Bein. Er versuchte, nach Darejan zu greifen. Das Bandeisen schnitt in sein Handgelenk, doch er bekam sie gerade noch zu fassen. Zog sie gegen ihren Willen näher heran. Mit dem letzten Rest seiner Kraft schüttelte er den Kopf. » Nein! Vertrau mir! Bitte!
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