Seelenkuss
gegen die Schläfen zu pressen. Und einen Moment später wieder von vorne damit zu beginnen. Sein Blick ging ins Leere. In der Sonne glitzerten die Edelsteintätowierungen an seiner Stirn und in der Braue in allen nur erdenklichen Blau- und Grüntönen. Der Wind fuhr durch sein Haar, das viel zu lang über seine Schultern fiel. Darejan hatte es für Schwarz gehalten, doch inzwischen wusste sie, dass es jede Farbnuance enthielt, die es zwischen tiefem Schwarz und dem dunklen Braun der Federn eines Kellfalken gab. Ein paar Mal hatte sie sogar einzelne hellere Fäden darin entdeckt, die Ockern oder Elfenbeinern glänzten. Sie wich seinem Blick nicht aus, als er unvermittelt den Kopf wandte. Das Sonnenlicht ließ die Sodijansplitter in seinen Augen blitzten, die im Schein des Seelenmondes die Farbe von Adamanten hatten, während der Dämonenring um das Silber seiner Pupille noch dunkler wirkte. Plötzlich war wieder jener inzwischen so vertraute, leise Schmerz hinter ihrer Stirn. Sie löste den Blick aus seinem, als ein Ruf aus den Wanten erklang.
Noren brüllte von seinem Platz am Heck aus, wo er am Steuerrad stand, einen Befehl. Unvermittelt wurde es auf dem Deck lebendig. Männer rannten und riefen durcheinander. Im ersten Moment verstand Darejan die plötzliche Aufregung nicht, doch dann sah sie die Wand aus dunklen Sturmwolken, die sich achtern zusammenbraute und auf die Mondtänzerin zuzurasen schien. War der Himmel bis eben noch von sonnengebleichtem Blau gewesen, so hing er von einem Wimpernschlag auf den anderen schwarz und schwer und von Blitzen zerrissen über ihnen.
Die Mannschaft hatte noch nicht einmal genügend Zeit, Fässer und Kisten an Deck festzuzurren, da prasselte schon Regen auf sie hinab, in den sich nussgroße Hagelkörner mischten. Die Nässe machte die Planken schlüpfrig. Das Knattern der Segel übertönte Norens Stimme, der inzwischen mit Salden am Steuerrad stand und darum kämpfte, das Schiff auf Kurs zu halten. In der plötzlich heraufgezogenen Dunkelheit waren die Männer nur noch huschende Schatten. Der Sturm peitschte die Wellen gegen den Rumpf der Tänzerin, die sich stöhnend unter ihrer Wut auf die Seite legte. Erschrocken presste Darejan sich fester an das Zepter der Mastbeting.
Krachend schlug ein Blitz in den Besanmast ein. Männer, die in seinen Wanten hingen und hastig versucht hatten, die Segel zu reffen, damit sie dem Wind weniger Angriffsfläche boten, wurden in die kochende See geschleudert. Entsetzt versuchten die anderen den herabstürzenden Bruchstücken auszuweichen. Die Stenge donnerte auf die Planken, zerschlug Reling und Schanzkleid. Das Meer schwappte durch den klaffenden Schlund und zerrte mit sich, was auch immer sich in seinem Weg befand. Mit einem Knall riss irgendwo ein Tau, unter Deck rumpelte es, ein weiterer dumpfer Schlag und die Tänzerin krängte noch mehr. In den Stimmen der Männer klang jetzt nackte Panik. Eine Welle brach über das Deck, ertränkte Darejan mit ihrer Wucht und riss ihre Hände los. Sie wurde auf das Loch in der Reling zugeschwemmt, schrie voller Angst und schluckte nur noch mehr Wasser. Etwas Raues streifte ihre Finger, sie klammerte sich an das Tau, hustend und würgend. Doch schon im nächsten Moment stürzte etwas schwer gegen sie, das Seil schnitt durch ihre Handflächen, die Tänzerin legte sich noch weiter über, Darejan wurde gegen das Schanzkleid geschleudert. Wasser erstickte ihren Schrei. Vor Schmerz benommen spürte sie die kalte Welle, die sie klatschend gegen die Planken drückte und darüber hinwegtrug. Und dann war da nichts mehr unter ihr außer der brodelnden See. Eine Hand schloss sich um ihren Arm, glitt auf ihrer Haut ab, riss scharf an ihrer Unterarmflosse. Sie krallte sich verzweifelt fest, spürte einen Ring kalten Eisens unter ihren Fingern, der Griff schloss sich endgültig um ihr Handgelenk und beendete ihren Sturz mit schmerzhafter Abruptheit. Salzwasser brannte in ihren Augen, sie erkannte nicht mehr als einen Schatten, der sich gefährlich weit über die Reling lehnte. Keine Armlänge neben ihr klaffte das Loch im Schanzkleid. Wieder zerriss blendend grell ein Blitz die Dunkelheit, wieder erklang jenes Krachen. Sie sah, wie der Fockmast sich beinah höhnisch langsam neigte. Dann ging ihr Schrei in dem Rauschen unter, mit dem Segel, Wanten, Stenge und Gaffel direkt auf sie und ihren Retter zustürzten.
16
E s fiel ihm schwer, von der aufgewühlten Wasserfläche und den Trümmern des Schiffsmodells
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