Seelenkuss
einer Armlänge, kaum mehr als doppelt so lang und gerade hoch genug, um bis zum Kinn auftauchen zu können. Das Holz war auf dieser Seite schmierig und mit Schimmel und teigig grauen Pilzen bedeckt, über die Wasserwanzen huschten. Wellen schwappten vor ihrem Versteck auf, suchten sich ihren Weg unter dem Baumstamm hindurch und schlugen ihnen in Mund und Nase. Die Männer hatten den Schatten unter den Cinjantannen beinah durchquert. Der Vordere hob den Spieß, stocherte im Meidenfarn herum. Die Klinge durchdrang die fleischigen Blätter mit deutlichem Ratschen, bohrte sich in die Erde, schrammte über Wurzeln.
Von der Dammseite her erklang das Klirren von Sattelzeug. Die Hufe massiger Schlachtrösser polterten auf dem angeschwemmten Holz. Knacken und Ächzen hallte zwischen den Bäumen. Wasser spritzte, als die Reiter ihre mächtigen fahlen Rösser in den Teich hineintrieben. Einen entsetzten Augenblick lang glaubte Darejan, ihre Sinne würden ihr einen Streich spielen, als sie die weiß glitzernde Schicht sah, die sich um die gewaltigen grauen Pferde herum auf der Oberfläche bildete und die bei jedem ihrer Schritte leise knirschend wieder zerbarst. Doch als die Kälte auch den Stamm vor ihr mit Reif überwucherte und ihr Atem zu fahlem Dampf wurde, erkannte sie, dass es tatsächlich Eis war, das sich allmählich über den Teich ausbreitete.
Ein schwacher Laut, halb Schluchzen, halb Stöhnen kam von dem Verrückten neben ihr und ließ sie zu ihm hinsehen. Er starrte die Reiter an, seine Züge eine Maske vollkommenen Grauens. Die Finger hatte er so fest in das morsche Holz des Baumes gekrallt, dass Blut unter seinen Nägeln stand. Dann stockte sein Keuchen und seine aufgerissenen Augen weiteten sich noch mehr. Darejan folgte seinem Blick, der unbeirrt auf die beiden Grauen Krieger gerichtet war, und vergaß ihrerseits zu atmen. Wie an jenem Tag am Strand am Fuß der BanNasrag hatten sie die Köpfe gewandt und schienen direkt zu ihnen herzusehen. Furcht stakste auf unzähligen dünnen Beinchen durch Darejans Adern. Die Krieger durften sie nicht entdeckt haben! Wenn die Grauen nun auch noch sie und den Verrückten gefangen nahmen, wäre alles umsonst gewesen. Darejan presste die Lippen zu einem verzweifelten Strich zusammen. Das durfte nicht geschehen. Réfen… Seloran…
Beinah gleichzeitig zogen die Grauen Krieger ihre fahlen Rösser herum, trieben sie auf sie zu. Unwillkürlich entwich Darejans Kehle ein ängstliches Keuchen. Die ersten Morgensonnenstrahlen spiegelten sich golden blitzend auf dem Teich, tanzten über die Schwerter ihrer Verfolger . Der Schrei eines Mannes. Eine Klinge, die mit einem Scheppern in der Dunkelheit aufschlug. Magie, die ihre Kraft verzehrte. In jener Gasse in Rokan war ihre Macht für einen kurzen Augenblick zu ihr zurückgekehrt. Sie hatte sie nicht mit Absicht gerufen, und dennoch… Sie bohrte die Nägel in die Handflächen, bemühte sich, die Angst zurückzudrängen. Das Eis breitete sich aus, kroch über den Baumstamm. Ein bitterer Geruch hing über dem Wasser. Sie versuchte, all das nicht mehr in ihre Sinne zu lassen. Die fahlen Streitrösser wieherten. Nur allmählich glaubte sie, ihre Magie zu spüren, doch sie war nicht mehr als das schwache Glitzern in der Tiefe eines Brunnens.
Um ein Haar hätte sie geschluchzt, als das Schimmern ihrer Magie aus der Tiefe emporstieg. Langsam nur, fast widerwillig, und doch gehorchte es ihr. Sie öffnete die Hände, ließ die Macht auf den Teich hinausfließen, verwob sie zu einer unsichtbaren Wand aus Bäumen, verrottetem Holz, Blättern und Wasser, die dem Betrachter vorgaukelte, dass da nichts anderes war. Ihr Atem wurde schmerzhaft. Sie zwang ein wenig mehr Magie aus der Tiefe des Brunnens herauf. Auf seinem Boden war nur noch ein feuchter Schimmer. Ein Ruf erklang, gleich darauf ein zweiter. Patschend kam ein Mann den Bachlauf herunter.
» Wir haben ihre Spuren gefunden! Ein Stück den Bach hinauf! Sie können noch nicht weit sein! « , brüllte er quer über den Teich.
Neben Darejan krallte der Verrückte die Finger noch fester in das morsche Holz. Die Borke brach, kleine Stücke glucksten ins Wasser.
Die Grauen Krieger brachten ihre Rösser zum Stehen, wandten die unter den Helmen verborgenen Gesichter dem Mann zu. Auch der letzte Rest Feuchtigkeit schwand, als Darejan das stumme Flehen in ihre Magie wob, sie mochten den Mann glauben, den Teich verlassen und dieser anderen Spur folgen. Ihr Atem wurde zu einem Zittern, das sich
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