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Seelenlos

Seelenlos

Titel: Seelenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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darstellte. Eine derart geschwätzige Irre konnte wohl selbst der Tod nicht zum Schweigen bringen. Bestimmt saß sie gleich tatsächlich auf meinem Schoß, drückte mir ihre tropfende Hand an die Lippen und fragte: Na, willst du mich schmecken, Süßer?
    Dieser imaginäre Film brauchte sich nur sehr kurz in meinem Kopf abzuspulen, um in mir den sehnlichen Wunsch nach Licht hervorzurufen.
    Falls André auf die Idee gekommen war, sich im Transformatorraum umzuschauen, dann hatte er das inzwischen bestimmt getan und war wieder verschwunden. Da sowohl seine Herrin als auch Robert tot waren, saß er vielleicht bereits im Fluchtauto, das die drei irgendwo draußen abgestellt hatten.
    In einigen Stunden konnte ich es wagen, mich ins Hotel zurückzuschleichen und dann zur Autobahn zu marschieren.
    Ich hatte schon den Daumen am Schalter der Taschenlampe, als hinter der Biegung, um die ich gekommen war, Licht aufflackerte. An der Mündung des Tunnels hörte ich Geräusche.

54
    Etwas Gutes hat die umgekehrte Wirkung meines Magnetismus an sich: Ich kann nie verschüttgehen. Selbst wenn ich bei einem Flugzeugunglück mitten im Urwald landen würde, ohne Karte und Kompass, würde ich die Suchtrupps in meine Richtung ziehen. Auch auf Plakate mit meinem Gesicht und der Aufschrift Wer hat diesen jungen Mann gesehen? werdet ihr deshalb nie stoßen. Wenn ich lange genug leben sollte, um Alzheimer zu bekommen, und dann ab und zu verwirrt aus dem Pflegeheim verschwinde, werden mir alsbald alle Patienten und das gesamte Pflegepersonal hinterherspazieren.
    Während ich sah, wie das Licht jenseits der Biegung in den Tunnel fiel, ermahnte ich mich, nicht schon wieder in einer Gespenstergeschichte zu versinken und mir ohne guten Grund selbst Angst zu machen. Ich durfte nicht ohne Weiteres annehmen, dass André spürte, wohin ich verschwunden war.
    Wenn ich einfach still sitzen blieb, dann kam er sicher zu dem Schluss, dass es wahrscheinlichere Verstecke gab, und verzog sich, um danach zu suchen. In die Röhre war er jedenfalls noch nicht eingedrungen, denn wenn er das versuchte, würde er durch seine Körpergröße bestimmt eine Menge Lärm machen.
    Er überrumpelte mich, indem er einen Schuss abfeuerte. Der Knall war so laut, dass ich das Gefühl hatte, mir würden die Ohren bluten. Wie der Klang einer gewaltigen Glocke vibrierte er durch den engen Raum. Ich hätte schwören können,
dass er sich bis in die Röhren meiner Knochen fortsetzte. Das vielfache Echo, das ihm hinterherjagte, hatte einen höheren Ton. Wie das entsetzliche Kreischen nahender Raketen hörte es sich an.
    Der Lärm brachte mich so durcheinander, dass es mir einen Moment lang völlig schleierhaft war, weshalb winzige Betonsplitter an meine linke Wange prallten. Dann begriff ich: Querschläger.
    Sofort drehte ich mich auf den Bauch, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, und schlängelte mich hektisch tiefer in den Tunnel. Die Beine bewegte ich scherenartig wie eine Eidechse, während ich mich mit den Armen vorwärtszog, denn wenn ich mich auf Hände und Knie erhoben hätte, hätte ich wahrscheinlich eine Kugel ins Hinterteil – oder den Hinterkopf – bekommen.
    Mit einer Pobacke konnte ich leben, indem ich den Rest meines Lebens schief saß und mir zum Ausgleich keine Sorgen mehr machen musste, dass meine Jeans nicht knackig saßen. Ohne Gehirn war ich jedoch geliefert. Ozzie hätte zwar gesagt, ich würde mein Gehirn oft so schlecht nutzen, dass ich schlimmstenfalls auch ohne es auskäme, aber versuchen wollte ich das nicht.
    André drückte zum zweiten Mal ab.
    Da mir der Kopf noch von dem ersten Knall dröhnte, kam der zweite mir nicht mehr so laut vor. Dafür schmerzten meine Ohren, als hätte das Geräusch Substanz gehabt und sie beim Hindurchschlüpfen überdehnt.
    In dem winzigen Augenblick, der zwischen dem Knall des Schusses und dem ihm folgenden Echo lag, musste die Kugel an mir vorbeigeflogen sein. So fürchterlich die Schallwellen auch klangen, sie bedeuteten, dass das Glück mir treu blieb. Wäre ich getroffen worden, so hätte der Schock mich bestimmt taub gegen den Lärm gemacht.

    Während ich wie ein Salamander vor dem Licht floh, war mir klar, dass die Dunkelheit mir keinen Schutz bot. André konnte sein Ziel ohnehin nicht sehen und verließ sich darauf, dass ich zufällig getroffen wurde. Da ein Geschoss von den runden Betonwänden mehrfach abprallen konnte, standen seine Chancen, mich zu erwischen, gar nicht so schlecht.
    Er drückte zum

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