Seelenlos
mit gerade zweiundvierzig Jahren – auf dem Höhepunkt seines Ruhms.
In letzter Zeit habe ich eine andere Theorie entwickelt. Sollte ich mal den Nerv dazu haben, werde ich sie ihm vortragen.
Wenn meine Vermutung zutrifft, wird er wahrscheinlich weinen, sobald er sie hört. Das tut er gelegentlich.
Nun beugte sich der King of Rock’n’ Roll auf der Bank vor, spähte nach Westen und legte den Kopf schief, als würde er lauschen.
Ich hörte nur ein leises Flügelschlagen. Feldermäuse jagten in der Luft nach Motten.
Immer noch die leere Straße entlangblickend, hob Elvis beide Hände und machte eine Geste, als wollte er jemanden einladen, sich zu uns zu setzen.
In der Ferne hörte ich ein Motorengeräusch. Es stammte von einem Fahrzeug, das größer war als ein Personenwagen, und es kam näher.
Elvis zwinkerte mir zu, als wollte er ausdrücken, mein Magnetismus würde wirken, obwohl ich mir dessen nicht bewusst sei. Statt weiter suchend herumzufahren, hatte ich mich vielleicht tatsächlich an einen Ort gesetzt, wo mein Zielobjekt zu mir kam.
Zwei Häuserblocks entfernt bog ein weißer Lieferwagen um die Ecke. Er kam langsam auf uns zu, als würde der Fahrer nach irgendetwas Ausschau halten.
Elvis legte mir warnend die Hand auf den Arm. Offenbar wollte er mir mitteilen, ich solle im schützenden Schatten der Phönixpalme sitzen bleiben.
Das Licht einer Straßenlaterne glitt über die Windschutzscheibe und das Innere des Lieferwagens, als er an uns vorbeifuhr. Am Lenkrad saß der schlangenhafte Kerl, der mir einen Elektroschock versetzt hatte.
Ohne dass ich es gemerkt hatte, war ich überrascht aufgesprungen.
Offenbar nahm der Fahrer meine Bewegung überhaupt nicht wahr. Er fuhr an uns vorbei und bog an der Ecke links ab.
Ohne mich weiter um den auf der Bank sitzenden Sergeant Presley und die jagenden Fledermäuse zu kümmern, rannte ich auf die Straße.
9
Hinter der Ecke verschwand der Lieferwagen aus meinem Blickfeld; ich rannte ihm hinterher, nicht weil ich tapfer wäre, was ich nicht bin, und auch nicht, weil ich süchtig nach Gefahr wäre, was ich auch nicht bin, sondern weil Passivität nicht die Mutter der Erlösung ist.
Als ich die Kreuzung erreichte, sah ich den Wagen einen halben Häuserblock entfernt in einer Gasse zwischen den Häusern verschwinden. Ich hatte an Boden verloren und sprintete weiter.
An der Einmündung des Wegs angekommen, sah ich diesen dunkel vor mir liegen, während die Straße hinter mir deutlich heller war. Damit bot meine Silhouette auch auf Reichweite einer Pistole ein ausgezeichnetes Ziel, aber es war keine Falle. Niemand schoss auf mich.
Bevor ich angelangt war, war der Lieferwagen nach links abgebogen und in einem anderen Weg verschwunden. Das wusste ich nur, weil an der Wand des Eckhauses der Widerschein von Rücklichtern zu sehen war.
Während ich der roten Spur hinterherrannte, die rasch schwächer wurde, war ich sicher, dass ich aufholte. Schließlich hatte der Fahrer abbremsen müssen, um auf dem schmalen Weg abzubiegen. Im Laufen fummelte ich mein Handy aus der Hosentasche.
Als ich an der Abzweigung ankam, war der Wagen ebenso verschwunden wie jede Spur seiner Lichter. Erstaunt hob
ich den Kopf, als wäre das Ding in den Wüstenhimmel entschwebt.
Ich drückte die Kurzwahltaste für Chief Porters Mobilnummer – und stellte fest, dass der Akku leer war. Ich hatte das Handy über Nacht nicht aufgeladen.
Vom Sternenlicht beschienen, standen große, stinkende Müllcontainer vor den Eingängen von Restaurants und Läden. Die an Zeitschaltuhren angeschlossenen Lampen waren zu dieser frühen Stunde, kurz vor der Dämmerung, großteils ausgeschaltet.
Manche der zwei- oder dreistöckigen Gebäude hatten Rolltore. Dahinter befanden sich meines Wissens hauptsächlich Räume für die Warenannahme; in einigen Fällen waren es vielleicht Garagen, aber das konnte ich beim besten Willen nicht erkennen.
Ich steckte das nutzlose Telefon ein und hastete einige Schritte weiter. Dann blieb ich ebenso unruhig wie unsicher stehen.
Mit angehaltenem Atem lauschte ich. Zu hören waren nur mein jagendes Herz und mein dröhnender Puls, kein Geräusch eines leerlaufenden oder sich entfernenden Motors, keine auf-oder zugehenden Türen, keine Stimmen.
Ich war gerannt, also konnte ich die Luft nicht lange anhalten. Das Echo meines Ausatmens lief die enge Gasse entlang.
Am nächsten Tor legte ich das rechte Ohr an den segmentierten Stahl. Der Raum dahinter kam mir so geräuschlos
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