Seelenlos
des Wagens verschwunden waren und wieso sie diesen hatten stehen lassen – falls sie tatsächlich nicht wiederkamen.
An einem erleuchteten Fenster im Obergeschoss des gegenüberliegenden Hauses stand eine alte Frau in einem blauen Bademantel und spähte herab. Sie sah weniger beunruhigt als neugierig aus.
An der Beifahrerseite des Wagens angekommen, schob ich mich langsam aufs Heck zu.
Auch die Türen des Laderaums standen offen. Das Licht brannte, niemand war zu sehen.
Irgendwo in der Nacht heulten Sirenen auf. Sie kamen näher.
Ich fragte mich, wer den Schuss abgegeben hatte, auf wen und warum.
So deformiert und verwundbar, wie Danny war, konnte er seinen Peinigern unmöglich die Waffe entrissen haben. Und wenn er versucht hätte, eine Flinte abzufeuern, hätte der Rückstoß ihm die Schulter und womöglich auch den Arm gebrochen.
Verwirrt drehte ich mich im Kreis und überlegte, was wohl aus meinem Freund mit den brüchigen Knochen geworden war.
10
P. Oswald Boone, der hundertachtzig Kilo schwere kulinarische Schwarzgurt im weißen Seidenpyjama, den ich gerade aufgeweckt hatte, bewegte sich mit der Anmut und Flinkheit eines Kampfsportmeisters, während er in der Küche seiner gemütlichen Villa ein Frühstück zauberte.
Gelegentlich beängstigt mich sein Gewicht, und dann mache ich mir Sorgen um den Zustand seines Herzens. Aber wenn er in der Küche hantiert, sieht er gewichtslos aus. Er schwebt sozusagen wie die Krieger in Tiger and Dragon , die sich über die Schwerkraft hinwegzusetzen scheinen. Allerdings verzichtet er darauf, über die Arbeitsinsel in der Küchenmitte zu springen.
Als ich ihn an jenem Februarmorgen beobachtete, kam mir in den Sinn, dass die Aussage, er verbringe sein Leben damit, sich durch unmäßiges Essen umzubringen, zu kurz griff. Ohne den Trost, den ihm das Essen bot, wäre er nämlich vielleicht schon lange tot gewesen. Jedes Leben ist komplex, jeder menschliche Geist ist ein Reich voller unerforschter Geheimnisse, und für Ozzie gilt das sogar in besonderem Maße.
Obwohl er nie darüber spricht, weiß ich, dass er eine schwere Kindheit gehabt hat. Seine Eltern haben ihm das Herz gebrochen. Mit Büchern und überzähligen Pfunden isoliert er sich gegen den Schmerz.
Von Beruf ist er Schriftsteller. Sein Werk besteht aus zwei erfolgreichen Kriminalromanserien und zahlreichen Sachbüchern.
So produktiv, wie Ozzie ist, könnte es eines Tages so weit sein, dass je ein Exemplar seiner Bücher, auf einer Waage aufgestapelt, sein Körpergewicht übertrifft.
Weil er mir versichert hat, das Schreiben könne wie eine Chemotherapie gegen psychische Tumoren wirken, habe ich vor einer Weile mein erstes Manuskript geschrieben, jene wahre Geschichte von Verlust und Beharrlichkeit. Die habe ich in eine Schublade gelegt, im Frieden mit mir, wenn auch nicht glücklich. Zu Ozzies Bestürzung habe ich ihm anschließend erklärt, mit dem Schreiben sei es damit für mich vorbei.
Das habe ich auch geglaubt. Nun sitze ich wieder hier und bringe Worte zu Papier, um als mein eigener psychischer Onkologe zu fungieren.
Vielleicht werde ich mit der Zeit Ozzies Beispiel folgen und hundertachtzig Kilo wiegen. Dann werde ich zwar nicht mehr in der Lage sein, so flink und verstohlen mit den Geistern herumzulaufen und durch dunkle Gassen zu huschen wie jetzt, aber dafür werden die Kinder sich über meine nilpferdhaften Heldentaten amüsieren. Sicher wird mir niemand widersprechen, dass es in dieser dunklen Welt sehr verdienstvoll ist, Kinder zum Lachen zu bringen.
Während Ozzie kochte, erzählte ich ihm von Dr. Jessup und allem, was geschehen war, seit der tote Radiologe mich mitten in der Nacht aufgesucht hatte. Dabei machte ich mir nicht nur Sorgen um Danny, sondern auch wegen Terrible Chester.
Terrible Chester, der Albtraum aller Hunde, gestattet Ozzie, mit ihm zusammenzuleben. Ozzie liebt den Kater nicht weniger, als er Essen und Bücher liebt.
Zwar hat Terrible Chester mich nie mit der Wildheit, zu der er meiner Meinung nach fähig ist, gekratzt, aber er hat mir mehr als einmal auf die Schuhe gepinkelt. Ozzie behauptet, es handle sich dabei um einen Ausdruck der Zuneigung. Laut dieser
Theorie markiert der Kater mich mit seinem Geruch, um mich als anerkanntes Mitglied seiner Familie zu identifizieren.
Mir ist allerdings Folgendes aufgefallen: Wenn Terrible Chester seine Zuneigung zu Ozzie ausdrücken will, dann tut er dies durch Schmusen und Schnurren.
Als Ozzie mir die Haustür aufgemacht
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