Seelenlos
Manche Leute sind sogar ganz zufrieden hier. Wahrscheinlich könnten einige von ihnen uns das eine oder andere übers Glücklichsein beibringen. «
»Ich bin glücklich«, versicherte ich.
Bis zur nächsten Querstraße sagte er nichts. »Du bist mit dir in Frieden«, meinte er dann. »Das ist ein großer Unterschied.«
»Und worin besteht der?«
»Wenn man still ist und nicht zu viel erhofft, dann kommt der Frieden von selbst. Er ist eine Gnade. Aber Glück muss man wählen .«
»Ist es so leicht? Man muss einfach nur wählen?«
»Sich zu entscheiden, etwas zu wählen, ist nicht immer leicht.«
»Das hört sich ganz so an, als hätten Sie zu viel nachgedacht«, meinte ich.
»Manchmal nehmen wir Zuflucht zum Trübsalblasen, einer merkwürdigen Art von Trost.«
Obwohl er eine Pause machte, sagte ich nichts.
»Aber egal, was im Leben auch geschieht, ist das Glück für uns da und wartet darauf, ergriffen zu werden.«
»Sir, sind Sie darauf nach drei Flaschen Bier gekommen, oder waren es vier?«
»Es müssen drei gewesen sein. Vier trinke ich nämlich nie.«
Als wir den Ortskern erreicht hatten, kam ich zu dem Schluss, dass meine magnetische Gabe momentan aus irgendeinem Grund nicht funktionierte. Vielleicht musste ich tatsächlich selbst am Steuer sitzen, oder der Elektroschock hatte vorübergehend meine esoterischen Schaltkreise lahmgelegt.
Möglicherweise war Danny auch schon tot, und ich wehrte mich dagegen, zu ihm hingezogen zu werden und ihn ermordet vorzufinden.
Laut der Uhr an der Bank of America war es vier nach vier, als Chief Porter auf meine Bitte hin an den Straßenrand fuhr, um mich an der Nordseite des Memorial Parks herauszulassen. Durch die den Park umgebenden Straßen bildet sich hier ein Stadtplatz.
»Sieht ganz so aus, als könnte ich bei dieser Sache nicht von Hilfe sein«, sagte ich.
Schon früher hatte ich vermutet, dass meine Begabungen mir in Situationen, in denen mir besonders nahestehende Menschen betroffen sind, nicht so zur Verfügung stehen wie dann, wenn zumindest eine gewisse emotionale Distanz vorhanden ist. Vielleicht wirken persönliche Gefühle auf übersinnliche Fähigkeiten so störend wie ein Migräneanfall oder zu viel Alkohol.
Ich liebte Danny Jessup so sehr wie einen Bruder.
Wenn man annimmt, dass meine paranormalen Talente einen höheren Ursprung als simple genetische Mutation haben, dann gibt es womöglich eine tiefgründigere Erklärung für ihre ungleichmäßige Funktion. Zum Beispiel könnten ihre Einschränkungen mich daran hindern, sie zu selbstsüchtigen Zwecken anzuwenden. Aber wahrscheinlich soll meine Fehlbarkeit nur dafür sorgen, dass ich demütig bleibe.
Falls Demut die entsprechende Lektion ist, so habe ich sie gut gelernt. An manchen Tagen hat das Bewusstsein meiner Grenzen
mich mit einer milden Resignation erfüllt, die mich bis in den Nachmittag oder gar in die Abenddämmerung hinein so wirksam im Bett gehalten hat wie Fesseln und schwere Bleigewichte.
Während ich die Tür aufstieß, fragte Chief Porter: »Sag mal, bist du sicher, dass ich dich nicht nach Hause fahren soll?«
»Ja, vielen Dank, Sir. Ich bin wach, aufgeputscht und hungrig. Deshalb werde ich als erster Gast zum Frühstück im Grill erscheinen. «
»Die machen aber erst um sechs auf.«
Ich stieg aus, beugte mich wieder hinein und sah ihn an. »Ich setze mich in den Park und füttere eine Weile die Tauben.«
»Wir haben keine Tauben.«
»Dann füttere ich die Fledermäuse.«
»Ich weiß schon, was du tun wirst. Du wirst im Park sitzen und nachdenken.«
»Nein, Sir, das werde ich bestimmt nicht tun. Versprochen.«
Ich warf die Tür zu. Der Streifenwagen fuhr an.
Ich wartete, bis der Chief meinem Blick entschwunden war, dann betrat ich den Park, setzte mich auf eine Bank und brach mein Versprechen.
8
Rund um den Stadtplatz stehen gusseiserne, schwarz lackierte Laternenpfosten, die von jeweils drei Glaskugeln gekrönt sind.
Die hübsche Bronzeskulptur im Zentrum des Parks – sie stellt drei Soldaten dar und stammt aus dem Zweiten Weltkrieg – ist normalerweise erleuchtet, aber momentan stand sie im Dunkeln da. Wahrscheinlich war der Scheinwerfer ein Opfer von Vandalismus geworden.
Kürzlich hat eine kleine, aber entschlossene Gruppe von Bürgern gefordert, das Denkmal zu ersetzen, weil es militaristischen Charakter habe. Im Memorial Park solle stattdessen an einen Mann des Friedens erinnert werden.
Die Vorschläge für das Motiv des neuen Denkmals reichten von
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