Seelenlos
abwechselnd schweflig und schimmlig roch, gewann mit jedem Stockwerk an Substanz, bis er mir so dicht vorkam, als könnte ich ihn schlürfen.
Von Zeit zu Zeit kam ich an kleineren, horizontalen Nebenschächten vorbei, aus denen manchmal ein kühlerer Luftzug strömte. Der roch zwar anders, aber auch nicht besser.
Zweimal begann ich zu würgen. Beide Male musste ich innehalten, um den Brechreiz zu bezwingen.
Schon nach vier Stockwerken war mir leicht schwindlig, kein Wunder angesichts des Gestanks, der klaustrophobischen Enge des Schachts und der chemischen Rückstände und Schimmelsporen, die in der Luft schwebten.
Obwohl mir bewusst war, dass meine Fantasie mit mir durchging, überlegte ich, ob am Boden des Schachts wohl ein paar Leichen – von Menschen, nicht von Ratten – lagen und, unentdeckt von den Rettungs- und Bergungsteams, dort vor sich hin moderten.
Je tiefer ich kam, desto entschlossener war ich, auf keinen Fall die Taschenlampe nach unten zu richten. Ich hatte Angst vor dem,
was ich sonst vielleicht sehen würde: nicht nur einen Haufen Leichen, sondern auch eine grinsende Gestalt, die darauf stand.
So tat es auch eine Statue von Kali, deren Abbildung ich irgendwo gesehen hatte. Ihr nackter Körper war hager und sehr lang; aus dem offenen Mund ragte eine lange Zunge, gerahmt von zwei spitzen Zähnen. Das Standbild strahlte eine schreckliche, auf perverse Weise erregende Schönheit aus.
Bei jeder zweiten Etage kam ich an einem niedrigeren Zwischenstock wie dem, durch den ich eingestiegen war, vorbei. Dort hätte ich kurz von der Leiter steigen können, wechselte jedoch unwillkürlich auf das Seil über. Die Knoten als Griff benutzend, schwang ich mich dort, wo die Leiter wieder anfing, auf sie zurück.
Angesichts meines Schwindels und meiner latenten Übelkeit kam es mir leichtsinnig vor, das Seil zu benutzen. Ich tat es trotzdem.
Auf Tempelbildern hält Kali in einer ihrer Hände eine Schlinge, in der zweiten einen von einem Schädel gekrönten Stab. In der dritten hält sie ein Schwert und in der vierten einen abgeschlagenen Kopf.
Tief unter mir glaubte ich ein Geräusch zu hören und erstarrte. Nichts. War wohl nur das Echo meines Atems gewesen. Ich kletterte weiter.
Jedes Stockwerk war mit einer an die Wand gemalten Ziffer gekennzeichnet, auch dort, wo es keinen begehbaren Zwischenraum gab. Als ich den ersten Stock erreicht hatte, tauchte mein rechter Fuß in etwas Nasses und Kaltes.
Ich wagte es, die Lampe nach unten zu richten, und stellte fest, dass der Rest des Schachts mit schwarzem Wasser und allerhand Trümmern gefüllt war. Hier kam ich nicht weiter.
Ich kletterte zur zweiten Etage zurück. Dort befand sich der nächste Zwischenstock, wo ich den Schacht verlassen konnte.
Falls auf dieser Ebene Ratten verendet waren, dann nicht durch Ersticken, sondern durch das hungrige Maul des Feuers, das nicht einmal die verkohlten Knochen ausgespuckt hatte. So heftig hatten die Flammen gelodert, dass sie einen pechschwarzen Ruß hinterlassen hatten, der den Lichtkegel der Taschenlampe schluckte und keinerlei Schein zurückwarf.
Verdrehte, gekrümmte, halb geschmolzene Strukturen aus Metall, bei denen es sich um die Reste des Heizungs- und Kühlungssystems handeln musste, bildeten eine verwirrende Landschaft, wie sie selbst ein von zu viel Alkohol oder Peperonipizza hervorgerufener Albtraum nicht hervorgebracht hätte. Der Ruß, der alles bedeckte, teils relativ dünn, teils einen Finger dick, war nicht puderig trocken, sondern fettig.
Diese unförmigen, glitschigen Hindernisse zu überwinden, war nicht gerade einfach. Außerdem fühlte sich der Boden an manchen Stellen so an, als wäre er unregelmäßig abgesunken. Wahrscheinlich war die Hitze so stark gewesen, dass die im Beton eingebetteten Stahlstäbe zu schmelzen begonnen und fast nachgegeben hatten.
Hier stank es noch übler als im Schacht. Es war ein bitterer, fast ranziger Geruch, aber dennoch kam die Luft mir dünner vor, so dünn wie auf großer Höhe. Als ich über die merkwürdige Struktur der Rußschicht nachgrübelte, kamen mir schauderhafte Theorien über ihre Entstehung in den Sinn, weshalb ich versuchte, lieber wieder an die Leguane zu denken. Stattdessen sah ich Datura vor mir, geschmückt mit einer Halskette aus Menschenschädeln.
Auf Händen und Knien kroch ich weiter, manchmal auch auf dem Bauch. Als ich mich durch eine von der Hitze geglättete Öffnung in einer Barriere zwängte, verschwamm das Bild Daturas, und
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