Seelenmoerder
Wind.«
Obwohl er ihr zuhörte, konnte er sich nicht richtig auf ihre Worte konzentrieren. Schon den ganzen Tag hatten ihn Kopfschmerzen belauert und waren mittlerweile trotz der Schmerztabletten, die er vor einer Stunde genommen hatte, zu einem dumpfen Pochen im Hinterkopf angeschwollen. Obwohl er es gewohnt war, lange zu arbeiten, ließ irgendwann seine Leistungsfähigkeit nach, und diesem Punkt war er bereits gefährlich nahe.
Am liebsten wäre er sofort mit Abbie zu ihr nach Hause gefahren. Oder zu sich. Die Tür zumachen und diesen Fall vergessen, diesen Tag vergessen … die nächsten paar Stunden einfach alles vergessen außer ihnen beiden.
Die Vorstellung regte ihn sogleich auch unterhalb der Gürtellinie an. Heute trug sie ein graues Hemd, ein ziemlich eng anliegendes, bei dem die Knöpfe verborgen waren, unter einer … wie hieß das noch? Einer Blende? Egal. Das Hemd passte zu ihren Augen, die die Farbe dichten Rauches hatten.
Ihre Augen wurden dunkler, wenn sie aufgewühlt war. Vor Zorn. Vor Verlangen. Vor Lust. Beim Gedanken daran verkrampften sich seine Bauchmuskeln. Abbies Anblick, wenn die Leidenschaft sie mitriss, war ein so wahnsinnig erregendes Bild, dass es sich in seine Gehirnwindungen eingebrannt hatte. Es drängte sich in den unpassendsten Momenten in den Vordergrund und störte seine Konzentration. Brachte ihn völlig aus dem Konzept.
Das hätte ihn eigentlich beunruhigen müssen. Tat es auch auf einer gewissen Ebene. Aber er konnte einfach nicht genug von ihr kriegen.
Sie versetzte ihm einen sanften Klaps seitlich auf den Kopf. »Und du hörst mir überhaupt nicht zu.«
»Ganz im Gegenteil«, log er und zwang sich, den Blick
von dem Stoff abzuwenden, hinter dem sich ihre Hemdknöpfe verbargen. »Du hast Karen Larsens Nachbarin herübergeholt, damit sie ihr Gesellschaft leistet.«
»Ich hätte dich fester schlagen sollen«, sagte sie. »Das war schon vor ein paar Minuten. Du bist in einer anderen Welt.«
»Fändest du es besser, wenn ich dir sage, dass du mit mir dort warst?« Mann, er liebte diesen Gesichtsausdruck an ihr, diese Mischung aus Schreck und beglückter Verlegenheit. Es ließ ihn vermuten, dass sie trotz aller Erfahrung so etwas noch nicht erlebt hatte. Was auch immer es war, was sich zwischen ihnen abspielte.
Er schüttelte sich innerlich. Anscheinend reichten Schlafmangel und Schmerztabletten aus, um sein Gehirn zu Matsch werden zu lassen. Er lehnte sich zurück und streckte sich. »Fangen wir noch mal von vorne an. Was hat die Larsen denn so aufgeregt?«
Abbie verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie war der festen Überzeugung gewesen, dass Cordray bei ihr war und sie unter Drogen gesetzt und vergewaltigt hat. Allerdings hat sie es nicht angezeigt, weil sie ihn ja zu sich eingeladen hatte, genau wie wir vermutet hatten.«
Die Neuigkeit ließ ihn aufmerken. »Außer dass es nicht Cordray war.«
»Und genau das hat sie fast völlig hysterisch werden lassen.« Der Anflug von Mitgefühl auf Abbies Miene entging ihm nicht. »Aber es kommt noch mehr. Bei ihr zu Hause hat es gebrannt, als sie siebzehn war. Ein Nachbar hat sie aus den Flammen gezogen, bevor sie sich schwere Verletzungen zuziehen konnte, aber …«
Er konnte fast erraten, was sie sagen wollte. »Ihre Angehörigen?«
»Ihr Bruder war nicht da, weil er schon studiert hat, aber ihre Eltern sind umgekommen.«
Eine Überlebende einer Feuersbrunst, die überfallen worden und deren Schlafzimmer anschließend in Brand gesteckt worden war. Er hatte Zufälle noch nie leiden können.
»Hat sie etwas über die toxikologische Untersuchung gesagt?«
»Erst gegen Schluss.« Abbie tippte mit den Fingern der einen Hand gegen ihren schlanken Schenkel. »Sie hat sich von der Nachbarin ins Krankenhaus bringen lassen, statt auf den Krankenwagen zu warten, weil sie nicht versichert ist.«
»Eine Fahrt mit dem Krankenwagen kostet achthundert Mäuse«, warf er ein.
»Und dann hat sie sich zwar wegen der Rauchvergiftung behandeln lassen, aber kein Wort über ihre anderen Verletzungen gesagt. Da sie dachte, es sei Cordray gewesen, hat sie sich selbst die Schuld an dem Übergriff gegeben. Aber sie hat ihre Freundin, Dixons Geliebte, eine toxikologische Untersuchung vornehmen lassen, weil sie befürchtet hat, dass ihr Cordray – oder vielmehr derjenige, den sie für Cordray gehalten hat – irgendwas gegeben hat. Ich konnte sie dazu überreden, uns eine Kopie der Untersuchungsergebnisse zu überlassen, womit wir nun legal
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