Seelenmoerder
nicht geradezu einlud, wenn er sich sagte, dass der Tag unmöglich noch schlimmer werden konnte.
Abbie drückte noch einmal ausdauernd auf die Klingel. Karen Larsens Auto stand in der Einfahrt, also war sie wohl zu Hause. Die Ergebnisse der Datenbankrecherchen über Cordray und Larsen hatten bereits vorgelegen, als sie von ihrer Unterredung mit Mistress Chan zurückgekehrt war.
Beim Gedanken daran verzog sie das Gesicht. Die Chan hatte regelrecht eine Bombe gezündet, und das wusste sie auch. Abbie hätte einen Wochenlohn darauf gewettet, dass sie den Vorwurf gegen McElroy nur erhoben hatte, um genau diese Reaktion zu erzielen. Dummerweise mussten sie das Ganze als seriöse Anschuldigung behandeln, bis das Gegenteil bewiesen war.
Fast hätte ihr McElroy leidgetan. Aber nur fast. Nachdem sie erneut geklingelt hatte, öffnete sich die Tür schließlich ein paar Zentimeter weit, und die Larsen spähte missmutig heraus. »Das kommt mir jetzt aber ungelegen.«
Abbie setzte ihr freundlichstes Lächeln auf. »Es tut mir leid, dass ich Sie noch einmal belästigen muss, Ms Larsen, aber wir haben noch ein paar Fragen. Als ich Sie telefonisch nicht erreichen konnte, habe ich beschlossen, bei Ihnen vorbeizufahren.«
»Alles, was Sie wissen wollen, müsste in dem Bericht stehen, den ich dem Brandermittler gegeben habe«, erwiderte sie stur und machte Anstalten, die Tür zu schließen. »Ich habe heute Nachtschicht und muss vorher noch schlafen.«
»In dem Bericht über das Feuer wird Jim Cordray überhaupt nicht erwähnt, obwohl er eigentlich drinstehen müsste.« Stille Befriedigung durchlief sie, als der Name des Barkeepers aus dem ›Loose Goose‹ Karen Larsen wie erstarrt mit der Tür in der Hand innehalten ließ. »Wir haben uns gefragt, warum Sie weder gegenüber dem Brandermittler noch gegenüber Officer O’Hare erwähnt haben, dass Sie in der Nacht, als es gebrannt hat, noch jemanden erwartet hatten.«
Karen Larsens Mund zitterte, ehe sie ihn schloss. Sie trat einen Schritt zurück, machte wortlos die Tür auf und ließ Abbie eintreten.
Das Haus war ebenso ordentlich aufgeräumt wie beim letzten Mal, als sie mit Ryne hier gewesen war, doch nun war es dunkel, und die Jalousien waren geschlossen. Auf der Couch lagen ein Kissen und eine Steppdecke, und das weite T-Shirt und die Yogahose, die Karen Larsen trug, waren zerknittert. Offensichtlich hatte Abbie sie geweckt.
»Also.« Karen Larsen schob die Decke beiseite und setzte sich im Schneidersitz aufs Sofa. »Dann sind Sie also fleißig gewesen.«
»Wir haben uns in den Lokalen umgehört, die Sie laut Ihrer Aussage an dem betreffenden Abend aufgesucht haben. Cordray war der Einzige, der Sie erkannt hat.«
Larsens Mund zuckte, und sie senkte den Blick. »Ist immer schön, wenn sich jemand an einen erinnert.« Sie schluckte schwer, ehe sie das Kinn hob und Abbie in die Augen sah. »Sie können mir ruhig verraten, was er sonst noch gesagt hat.«
»Das können Sie sich doch denken.« Sie fing den Blick der anderen Frau auf und fixierte sie, ehe Karen Larsen sich abwandte und die Hände fest im Schoß faltete.
»Ich mache das nicht. Das. Ich meine, was er Ihnen auch erzählt haben mag …« Sie presste die Lippen aufeinander und sah nach unten. »So bin ich einfach nicht. Ich bin keine Schlampe.«
»Niemand verurteilt Sie, Karen«, sagte Abbie leise. »Aber wir brauchen einfach die ganze Geschichte, damit wir ermitteln können, was in der Brandnacht tatsächlich geschehen ist.«
Karen Larsen hob ruckartig eine Schulter. »Ich habe keine Informationen unterschlagen, aber es hat einfach nichts mit
dem Feuer zu tun. Ehrlich. Der Brandermittler war ebenfalls der Ansicht, dass die Vorhänge durch die Kerzen in Brand geraten sind.«
»Er hat aber auch angegeben, dass in Ihrem Schlafzimmer mehr als ein Dutzend Kerzen gebrannt haben. Keine Frau zündet so viele Kerzen an, wenn sie vorhat, allein ins Bett zu gehen.«
Karen schlug die Hände vors Gesicht. »Ich bin so dumm!«, rief sie mit erstickter Stimme. Als sie den Kopf wieder hob, war ihr Eyeliner unter dem einen Lid verschmiert. »Es wäre sowieso nicht romantisch geworden mit diesem brutalen Widerling. Offenbar konnte ich nicht mehr klar denken.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich muss die anderen Kerzen irgendwo auf dem Nachhauseweg gekauft haben. Vorher hatte ich nämlich nur eine da.« Sie verstummte und sah aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. »Sie müssen mich schrecklich finden.«
Abbie
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