Seelenmoerder
Papierkorb. Nach Schichtwechsel war es ruhiger im Büro, und man konnte besser denken. Nachdem die Ereignisse des Nachmittags zu einem wirren Durcheinander verschwommen waren, brauchte er Zeit, um seine Gedanken zu sammeln und den nächsten Schritt zu planen.
Sie hatten eine mögliche Verbindung zu ihrem Täter gefunden, als die Spurensicherung einen dimegroßen Blutfleck in dem Crown Vic ausgemacht hatte. Allerdings würde es eine Weile dauern, bis sie wussten, ob irgendwelche Fingerabdrücke oder sonstige Spuren aus dem Wageninneren von jemand anderem als der Besitzerin stammten. In der Zwischenzeit plante er etwas, das zumindest bei einem Mitglied seines Teams sehr schlecht ankommen würde.
Er würde am nächsten Morgen in aller Frühe Callie Phillips zur Vernehmung abholen lassen.
Obwohl ihm nicht wohl dabei war, wollte er es unbedingt durchziehen. Persönliche Gefühle durften keine Rolle spielen. Morgens wäre am günstigsten. Wenn sie die meisten Nächte mit Saufgelagen zubrachte, war sie nach nur wenigen
Stunden Schlaf bestimmt noch nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte. Das wollte er ausnutzen, denn wie er bereits wusste, log die Frau so mühelos, wie andere Leute atmeten.
Und er wollte die Wahrheit hören, wenn er sie über ihre Beziehung zu Hidalgo Juárez befragte.
Wie gut kannte sie den Mann? Hatte sie je jemand anderen mit ihm sprechen sehen, und wenn ja, wusste sie dessen Namen? Angestellte und Gäste in den Spelunken, die Juárez besuchte, wollten immer nichts gesehen haben. Und wissen wollten sie noch viel weniger. Sämtliche auf den Fotos erscheinenden Personen eindeutig zu identifizieren war mühsam gewesen und vorwiegend durch Abgleich mit elektronischen Täterdateien erfolgt.
Er zog den Umschlug mit den von McElroy gemachten Fotos heraus und legte sie für die nächste Einsatzbesprechung auf seine Unterlagen. Morgen würde er seine Leute anweisen, die Bilder durchzusehen, bereits bekannte Personen abzuhaken und noch unbekannte zu identifizieren. Er würde bei jedem Kneipenbesucher, dessen Identität geklärt war, die gleiche Prozedur verfolgen, ganz egal, wer es auch war.
Oder mit wem er verwandt war.
Entschlossen schob er Bedenken darüber beiseite, wie Abbie darauf reagieren würde, dass er ihre Schwester vernahm. Wäre sie imstande, ihre Auseinandersetzung von neulich abends von den Fakten zu trennen, die sich bei den Ermittlungen ergaben?
Er wusste es wirklich nicht. Und diese Ungewissheit hinderte ihn daran, sie sofort anzurufen und von seinem Vorhaben zu unterrichten. Sie war absolut professionell, das stand fest. Andererseits sorgte sie sich seit Jahren um ihre Schwester. Falls auch nur die leiseste Möglichkeit bestand,
dass sie Callie vor der bevorstehenden Vernehmung warnen könnte, durfte er das Risiko keinesfalls eingehen. Sie würde es morgen früh erfahren, wenn sie ins Büro kam und registrierte, wen er da im Vernehmungsraum hatte.
Sein Brustkorb schmerzte, wenn er sich Abbies Reaktion ausmalte, doch das durfte keine Rolle spielen. Sachzwänge von Gefühlen zu trennen war immer eine heikle Sache. Dafür war er Experte.
Weniger vertraut waren ihm allerdings die Schuldgefühle, die ihn belasteten, weil er tat, was getan werden musste.
Schließlich wandte er sich den Angaben über die Ketrum-Angestellten zu, von denen bekannt war, dass sie an den TTX-Versuchen mitarbeiteten. Jeppersons Liste hatte Wissenschaftler und Laborassistenten umfasst, drei Frauen und sieben Männer. Doch die Überprüfungen hatten bei acht der zehn rein gar nichts ergeben, abgesehen davon, dass ein Knabe seine Verwarnungen wegen zu schnellen Fahrens nicht gern bezahlte.
Die anderen beiden waren einen genaueren Blick wert. Gegen Dwayne Carsons war bereits zweimal wegen häuslicher Gewalt Anzeige erstattet worden, allerdings nicht mehr in den letzten fünf Jahren. Er notierte sich, dass er Abbie danach fragen wollte, wie wahrscheinlich es war, dass ein solcher Täter zu brutaleren Straftaten überging.
So oder so war es in beiden Fällen sinnvoll, den Beamten, der die Festnahme veranlasst hatte, um Kopien der Protokolle zu bitten. Dummerweise stammten die Anzeigen nicht aus Jeppersons Zuständigkeitsbereich, sonst wäre das Ganze wesentlich schneller vonstattengegangen.
Er wandte sich den Daten über Trevor Holden zu und pfiff leise durch die Zähne. Eine unter Verschluss gehaltene Vorstrafe aus der Jugend. Das war interessant. Momentan gab es keine Möglichkeit, auf die Daten zuzugreifen.
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