Seelenmoerder
schon mehr oder weniger fertig.«
»Sie sind eine miserable Lügnerin.«
Sie warf ihm einen kühlen Blick zu. »Ich bin eine hervorragende Lügnerin.« Auf sein Schweigen hin sprach sie weiter. »Okay, ich habe es gestern Nacht zu Ende geschrieben, als ich nach Hause gekommen bin. Ich konnte nicht schlafen. Aber ich habe nur noch zwei Stunden dafür gebraucht.«
Der Schlaf war auch ihm nicht geneigter gewesen. Als er nach Hause kam, war er von den Ereignissen des Tages noch viel zu aufgekratzt gewesen, und ihm war der Gedanke gekommen, dass es vielleicht eine angenehmere Art gegeben hätte, in den Schlaf zu finden, wenn sie zusammen gewesen wären.
Er schüttelte den Kopf, um diesen völlig unpassenden Gedanken loszuwerden. Er konnte mit Frauen zusammenarbeiten, verdammt noch mal, er hatte doch bereits etliche Kolleginnen um sich gehabt, ohne versucht gewesen zu sein, Berufliches und Privates zu vermischen. Jedenfalls gab es keine Erklärung dafür, dass ihm Abbie auf eine Art und Weise immer intensiver bewusst wurde, die nicht das Geringste mit den laufenden Ermittlungen zu tun hatte.
Sich auch nur in unverbindlichster Form mit ihr einzulassen, sagte er sich grimmig, während er ein langsam dahinschleichendes Wohnmobil überholte, war das Dümmste, was ihm seit seiner Ankunft in Savannah eingefallen war.
»Können Sie mir nicht die wichtigsten Stichpunkte nennen?«
»Schriftlich ergibt sich ein klareres Bild«, erwiderte sie.
»Ich werde aber in den nächsten Stunden nicht zum Lesen kommen, also fassen Sie es bitte kurz für mich zusammen.«
Zuerst fürchtete er, sie werde nicht antworten. Schließlich tat sie es doch. »Ich kann nicht behaupten, bereits ein klares Bild von ihm zu besitzen, weil ich nach wie vor darüber rätsle, wie er seine Opfer auswählt. Anders als im Fernsehen stellen Serienvergewaltiger meist keine ausgeklügelten symbolischen Betrachtungen an, wenn sie ihre Opfer aussuchen. Er scheint auch keinen bestimmten ›Typ‹ zu haben, jedenfalls nicht darüber hinaus, dass es sich um attraktive Frauen handelt, die keiner speziellen Risikogruppe angehören. Zumindest steht fest, dass wir es mit einem sexuellen Sadisten zu tun haben. Seine Überfälle sind stets geplant, nie impulsiv, und er malt sich die Taten in seiner Fantasie aus, ehe er sie verübt.«
Ryne konnte sich nicht verkneifen, sie ein bisschen zu reizen. »Sie sagen ständig ›er‹. Sind Sie jetzt doch davon überzeugt, dass es ein Mann ist?«
Sie warf ihm einen Seitenblick zu. »Wie gesagt, das ist fast sicher der Fall, aber überzeugt bin ich erst, wenn wir Beweise dafür haben. Das männliche Pronomen habe ich nur gewählt, um den Gesprächsfluss nicht zu verkomplizieren; es soll nicht meine Meinung zu dieser Frage widerspiegeln, okay?«
Er lehnte sich zurück und unterdrückte ein Grinsen über ihren unverkennbar gereizten Tonfall. Sonst war sie immer so beherrscht, dass er es sich als Leistung anrechnen durfte, sie aus der Ruhe gebracht zu haben.
»Männer, die sich nicht zutrauen, das Opfer zu überlisten oder körperlich zu überwältigen, wählen oft den Überraschungsangriff. Doch bei den Anstrengungen, die er unternimmt, um nicht entdeckt zu werden, will ich diesem Faktor keine allzu große Bedeutung beimessen. Vielleicht ist das nur eine weitere Methode, um nicht identifiziert zu werden. Die meisten dieser Täter sind überdurchschnittlich oder hoch intelligent.«
Langsam redete sie sich warm und wandte sich ihm zu, soweit es der Sicherheitsgurt erlaubte. »Raiker hat das Gegensatzpaar organisiert/unorganisiert weitgehend aufgegeben, aber ich halte es immer noch für ein wichtiges Werkzeug der Beschreibung, solange Fakten und Erkenntnisse die Grundlage für das Profil bilden und nicht die Beschreibungselemente an sich.«
Er brummte zustimmend, obwohl er sich an einen Mathekurs am College erinnert fühlte, in dem sich der Professor in einer »Erklärung« verlor, der keiner aus der Klasse mehr zu folgen vermochte.
»Unter diesen Voraussetzungen würde ich den Täter also als organisiert bezeichnen, einfach weil er seine Taten so akribisch vorbereitet. Er treibt einen enormen Aufwand, um nicht identifiziert zu werden, sei es, weil er seine Opfer nicht umbringen will, sei es, weil er nicht von einem Außenstehenden erkannt werden will. Und das macht er schon seit geraumer Zeit, beziehungsweise seit er seinen Plan geschmiedet hat, und er wird nicht aufhören, ehe er gefasst ist.«
»Und das wissen Sie, weil
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