Seelenmoerder
Weihnachtsgeschenk
für uns mit Blutspuren des Opfers darin.« Er stützte beide Hände auf die Tischplatte und sah sie an. »Du bist ganz schön verschlagen.«
»Und du bist ohnehin schon selbst darauf gekommen.« Abbie war halb enttäuscht, halb erfreut, dass ihre Gedanken die gleiche Richtung genommen hatten.
»Ich bin genauso verschlagen. Aber du bist die Profilerin. Was für ein Tätertyp betreibt einen solchen Aufwand?«
Die Erinnerung war unnötig gewesen. Allerdings war sie in diesem Fall die Profilerin. Eine hoch qualifizierte Ermittlerin. Was jedoch nicht erklärte, warum Rynes Nähe ihr die Kehle austrocknete und ihren Atem unregelmäßig werden ließ. Ärgerlich über sich selbst, erhob sie sich und vergrößerte den Abstand zwischen ihnen. »Er ist schlau. Er legt es vermutlich darauf an, die Polizei abzulenken. Und dafür schmiedet er sorgfältige Pläne.«
»Genau. Die Möglichkeit müssen wir auf jeden Fall in Betracht ziehen. Keiner der Fingerabdrücke auf den Nummernschildern stammt von Juárez. Insofern war es auch keine Überraschung, dass wir weder an der Schutzkappe noch an dem leeren Spritzenkolben welche gefunden haben.« Er sagte nichts mehr, sondern sah sie nur so lange an, bis sie nervös wurde. »Du hättest gestern Abend mit zu Dixon kommen sollen.«
Der plötzliche Themenwechsel kam unerwartet. »Hast du dich gut amüsiert?«
»Nein, es war grässlich. Ich hab noch nie so viele aufgeblasene Egos auf einem Fleck gesehen.«
Seine Worte entlockten ihr ein Lächeln. »Du hast recht. Das klingt wirklich nach etwas, was mir gefallen hätte.« Sein Charme, wenn er ihn denn einmal einsetzte, war noch viel beängstigender als die grimmige sardonische Maske, die er am ersten Tag aufgesetzt hatte. Und unendlich viel attraktiver.
Ryne angelte sich mit dem Fuß einen Stuhl herbei und ließ sich darauffallen. »Ich habe Dixon ein paar Minuten allein erwischt. Der Captain und ich konnten ihn davon überzeugen, dass eine Pressekonferenz momentan mehr schaden als nützen würde.«
Sie teilte die Erleichterung, die sie in seiner Stimme hörte. »Gut. Siehst du? Du hast mich gar nicht gebraucht.«
Er sah sie aus verhangenen Augen an. »Das würde ich nicht sagen.«
Sein leiser, rauchiger Tonfall fegte ihren Kopf völlig leer. Sie hatte keine Erfahrung mit dem anzüglichen Geplänkel, das zum Verführungsritual zwischen Männern und Frauen gehörte. Und die Männer, mit denen sie sich bisher eingelassen hatte, waren darin offenbar ebenso unbedarft gewesen wie sie. Gewiss gab es hier einen Bezug zwischen Ursache und Wirkung, doch sie hatte keine Lust, sich darum zu kümmern. Momentan dachte sie nur an Ryne.
Er trug ein in gedämpften Farben gestreiftes Sakko, in dem sie ihn schon einmal gesehen hatte, dazu ein graues Hemd und eine schwarze Hose. Doch es war kinderleicht, ihn sich in seiner Sportkluft vorzustellen, mit nackten, muskulösen Armen und Beinen. Vielleicht weil sich dieses Bild in ihrem Kopf festgesetzt hatte und sich die unpassendsten Momente aussuchte, um unaufgefordert wieder aufzutauchen.
»Was soll das werden?«
Sie folgte seinem Blick und stellte erschrocken fest, dass sie den Aktendeckel geknickt hatte, weil sie ihn so fest umklammerte. »Oh. Der ist sowieso für dich.« Rasch drückte sie ihm die Mappe in die Hand und lenkte das Gespräch wieder auf die Arbeit. »Ich habe das Profil über den Vergewaltiger aktualisiert. Ich glaube, ich weiß jetzt, wie er seine Opfer auswählt.«
Sein Gesichtsausdruck ging schlagartig vom persönlichen zum beruflichen Interesse über. Das Tempo des Wandels machte sie ein bisschen neidisch. Und seltsamerweise ruhiger.
»Ehrlich? Das hättest du gleich sagen sollen. Damit die anderen im Team es auch erfahren.«
»Ich wollte zuerst mit dir sprechen.« Ihre Nervosität brauchte ein Ventil, und so stand sie auf und ging hin und her. »Ich war bereits bei Dixon und habe ihm ein Exemplar gegeben. Für Captain Brown ist noch ein weiteres Exemplar da. Ich habe fast die ganze Nacht daran gearbeitet. Zuerst dachte ich, es sei zu weit hergeholt, doch es sind einfach zu viele Zufälle.«
»Und die wären?«
Sie drehte sich zu ihm um. »Zuerst ist es mir gar nicht aufgefallen. Er scheint seine Opfer nicht nach einem bestimmten Typ auszuwählen. Und er sucht sie weder in derselben Berufsgruppe noch am selben Ort, abgesehen davon, dass sie alle in Savannah leben.« Sie wurde langsam warm mit dem Thema und fühlte sich sicherer. Doch es brauchte ein
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