Seelennacht
Hocke zu ihr auf.
»Was ist mit dem Insulin?«
»Ich bin mir sicher, dass Simon und Derek sich längst welches besorgt haben.«
»Können wir es trotzdem hierlassen, sicherheitshalber?«
Sie zögerte. Sie wollte sich die Mühe eigentlich nicht machen, aber wenn sie mich damit gewinnen konnte …
»Ich lasse mir nachher von Lauren die Ampullen geben und bringe sie hierher«, sagte sie. »Aber jetzt müssen wir ihnen als Erstes mal diese Nachricht zeigen.«
Sie wandte sich ab und wollte gehen. Ich schloss die Finger um eins der Metallrohre, sprang auf und holte aus, um sie auf den Hinterkopf zu schlagen. Im gleichen Moment fuhr sie herum, schnippte mit den Fingern, und ich segelte rückwärts in einen Kistenstapel. Das Metallrohr flog mir aus den Händen und landete scheppernd auf dem Boden. Ich stürzte mich darauf, aber sie war schneller, schnappte es sich und hob es wie eine Waffe hoch.
Ihr Mund öffnete sich, aber bevor sie ein Wort sagen konnte, schoss eine Kiste von dem Stoß hinter mir herunter. Sie machte einen Schritt zur Seite, als die Kiste an ihr vorbeijagte. Hinter dem Stapel stand Liz.
Ich machte einen Satz auf die Rohre zu, aber Mrs. Enright erwischte mich bereits mit der nächsten Formel. Sie riss mir die Füße weg, und ich landete mit ausgestreckten Händen voran auf dem Fußboden. Schmerz jagte meinen verletzten Arm hinauf. Als ich mich umsah, konnte ich einen kurzen Blick auf Liz’ Nachthemd werfen, sie stand wieder hinter dem Kistenstapel.
»Elizabeth Delaney, nehme ich an.« Mrs. Enright trat rückwärts an die Wand. Ihr Blick zuckte von einer Seite zur anderen, als sie sich auf das nächste Wurfgeschoss vorbereitete. »Es sieht so aus, als ob du deine Kräfte im Tod endlich in den Griff bekommen hättest. Wenn es doch nur ein bisschen früher geschehen wäre. Was für eine Verschwendung.«
Zwischen zwei Kistenstapeln hindurch sah ich Liz erstarren. Als sie hörte, dass Mrs. Enright ihren Tod bestätigte, trug ihr Gesicht sekundenlang einen Ausdruck des Entsetzens. Dann sah ich, wie sie die Schultern straffte und wie ihre Augen schmal wurden, als sie sie auf den Kistenstoß richtete.
»Du kannst aber auch im Tod noch nützlich sein, Elizabeth«, fuhr Mrs. Enright fort. »Ein Poltergeist ist ein sehr seltener Fund, der Dr. Davidoff durchaus über seine Enttäuschung darüber hinweghelfen kann, dass er Derek und unseren lieben Simon verloren hat.«
Die Kisten zitterten und knackten, als Liz schob. Vor Anstrengung traten ihre Sehnen hervor. Ich winkte ihr hektisch zu, sie sollte sich auf die oberste der Kisten konzentrieren. Sie nickte, gab ihr einen Stoß … und Mrs. Enright trat ganz einfach aus ihrer Reichweite.
»Das reicht jetzt, Elizabeth«, sagte sie gelassen, als die Kiste hinter ihr auf den Boden krachte.
Liz griff nach einem herumliegenden Brett und schleuderte es nach ihr.
»Ich habe gesagt, es
reicht.
«
Sie jagte eine weitere Formel in meine Richtung, diesmal ein elektrischer Blitz, der mich auf den Boden schleuderte, wo ich zitternd und keuchend liegen blieb. Liz ging neben mir in die Hocke. Ich flüsterte, dass alles okay sei, und stemmte mich hoch, bis ich wenigstens saß. Mein ganzer Körper schmerzte.
Mrs. Enright sah sich um. Sie konnte Liz selbst nicht sehen und wusste nur, wo sie war, wenn sie etwas bewegte. »Ich kann dir nicht weh tun, Elizabeth, aber ich kann Chloe weh tun. Wenn jetzt noch ein einziger Splitter geflogen kommt, verpasse ich ihr den nächsten Energieblitz. Ist das klar?«
Ich kämpfte mich auf die Füße und stürzte zur Tür. Ich kam etwa anderthalb Meter weit, bevor ich erstarrte. Buchstäblich erstarrte.
»Man nennt das einen Bindezauber«, erklärte Mrs. Enright. »Sehr nützlich. So, Elizabeth, und du benimmst dich jetzt bitte, während Chloe und ich …«
Der Zauber brach. Ich stolperte, versuchte, das Gleichgewicht wiederzufinden, und als ich aufblickte, sah ich, dass
sie
erstarrt war. Eine Gestalt trat aus dem Schatten hervor.
»Ein Bindezauber?« Tori schlenderte herbei. »So heißt das also? Du hast recht, Mom, wirklich sehr nützlich.«
Sie stellte sich unmittelbar vor die bewegungslose Gestalt ihrer Mutter. »Ich bin also eine Enttäuschung für dich, ja? Chloe ist die Tochter, die du gern gehabt hättest? Weißt du, ich wäre jetzt wirklich verletzt, wenn ich glauben würde, dass du sie überhaupt kennst. Oder mich.« Sie trat noch näher. »Shoppen, Mom? Ich sitze in einer verschlossenen Zelle, mein Leben geht gerade in
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