Seelennacht
klingelte mir in den Ohren. Ich glaube, es war mein Herz, das vor Freude jauchzte. Tante Lauren hatte gemerkt, dass sie im Unrecht war. Sie liebte mich nach wie vor. Sie würde es wiedergutmachen, meine Probleme für mich lösen, wie sie es immer getan hatte, und alles würde wieder in Ordnung sein.
Hätte ich mir etwas noch Vollkommeneres vorstellen können?
Nein, und das war auch der Grund dafür, warum ich einen weiteren langsamen Schritt nach hinten machte und mit den Fingern der herabhängenden Hand Tori warnte. Ich war zu oft getäuscht worden, um jetzt noch auf dieses Märchenende hereinzufallen.
»Chloe, bitte.« Tante Lauren streckte mir den Beutel mit dem Insulin hin. Als ich danach griff, packte sie meine Hand. »Ich hab einen Fehler gemacht, Chloe. Einen gigantischen Fehler. Aber ich werde ihn in Ordnung bringen.« Sie überließ mir den Beutel. »Und jetzt lauft da lang.« Sie zeigte zum Fabrikgebäude hinüber. »Haltet euch im Schatten. Ich werde Mike unter der Plane da verstecken.«
Als Tante Lauren uns wieder eingeholt hatte, schlugen wir einen Bogen um die Lagerhäuser und versuchten, das Haupttor zu erreichen. Sie schwor, kein Mitglied der Edison Group sei dazu abgestellt worden, diesen Teil der Anlage zu bewachen. Wir hatten zwar keine Betriebsangehörigen im Freien herumlaufen sehen, aber nichtsdestoweniger wollte die Gruppe wohl nicht riskieren, der Fabrik selbst zu nahe zu kommen.
Und wenn Tante Lauren jetzt log und uns gerade in eine Falle lockte? Dann konnte ich nur hoffen, dass Toris Formeln uns weiterhelfen würden.
Am anderen Ende des Fabrikhofs machten wir hinter einem Lagerhaus halt, um etwas zu Atem zu kommen.
»Okay, ihr zwei«, sagte Tante Lauren. »Da drüben ist eine Lieferanteneinfahrt. Das Tor ist geschlossen, aber ihr solltet euch eigentlich beide durchquetschen können. Dann zwei Straßenblocks weit nach rechts und dann die Straße dort entlang bis zum Ende. Dort seht ihr einen Supermarkt.«
Ich nickte. »Ich weiß, wo der ist.«
»Gut. Geht um das Gebäude herum und wartet dort. Ich stoße dazu.«
Tori schoss davon, aber ich stand einfach da und sah Tante Lauren an.
»Chloe?«
»Tori hat uns nicht verpetzt, stimmt’s?«
»Nein. Und jetzt …«
»Es war Rae, oder?«
Sie zögerte, und ich sah die Antwort in ihren Augen. »Ich bin nicht die Einzige, die irrtümlicherweise geglaubt hat, das Richtige zu tun, Chloe.«
Ich wollte mich abwenden, aber sie griff nach meinem Arm und streckte mir einen zusammengefalteten Briefumschlag entgegen.
»Eine Erklärung und ein bisschen Geld.« Als ich ihn nicht gleich nahm, beugte sie sich vor und schob mir den Umschlag in die hintere Hosentasche. »Wenn ihr euch dafür entscheidet, lieber nicht auf mich zu warten, kann ich’s dir nicht übelnehmen. Aber bitte gib mir eine Chance. Eine letzte Chance.«
Ich nickte. Sie zog mich zu einer kurzen Umarmung an sich und küsste mich auf die Wange, dann ließ sie mich los. Tori war bereits um die Ecke des Gebäudes gebogen und außer Sicht, als ich Liz in meinem Rücken aufschreien hörte.
»Chloe!«
Ich fuhr so schnell herum, dass ich fast das Gleichgewicht verloren hätte. Tante Lauren winkte mir zu, ich sollte losrennen, aber ich sah nur die Gestalt, die hinter ihr aufgetaucht war. Toris Mutter.
Ich stieß einen Warnruf aus, aber Mrs. Enright hatte bereits die Hand nach oben gerissen. Ein Lichtblitz brach aus ihren Fingerspitzen hervor. Er traf Tante Lauren mit einem fürchterlich zischenden Geräusch und riss sie von den Beinen. Blut sprühte von ihren Lippen auf den Zementboden, als ihr Körper auf den Boden schlug.
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13
I ch rannte auf Tante Lauren zu. Ich war nur wenige Schritte von ihr entfernt, als mich Toris Mutter mit einem Bindezauber zum Stehen brachte. Undeutlich hörte ich sie etwas sagen, aber ich verstand nicht, was es war. Meine Ohren waren von meinen eigenen lautlosen Schreien erfüllt, während ich auf meine Tante hinunterstarrte, die bewegungslos am Boden lag. Irgendwann drang Mrs. Enrights Stimme doch zu mir durch.
»Wahrscheinlich sollte ich jetzt fragen, wo meine geliebte Tochter ist?«
»Ganz in der Nähe«, antwortete eine Stimme hinter mir.
Mrs. Enrights Hand hob sich. Ihre Stirn legte sich in Falten. Ihre Lippen öffneten sich. Dann wurde sie von etwas nach hinten geschleudert – eine von Tori gesprochene Formel. Der Bindezauber brach, und ich wollte zu Tante Lauren hinstürzen, aber Tori packte mich am Arm.
»Wir müssen gehen«,
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