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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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hatte, an dem es
nicht
öde und langweilig hätte sein sollen, dann war der doch sicherlich jetzt. Ich konnte mit den Toten reden. Ich konnte die Toten
beschwören.
Im Lauf der vergangenen Woche hatte ich so viel geplant und arrangiert, dass mir allein das schon einen Auftritt in
Survivor
hätte sichern sollen.
    Aber alles, was mir dazu einfiel, war Toris demonstratives Gähnen.
    Es war nett, dass Simon mich verteidigte, aber er tat nicht mehr, als er auch für eine kleine Schwester getan hätte. Ich dachte immer wieder daran – an die Art, wie er mir zu Hilfe kam, wie er meine Hand drückte, die Art, wie er sich vorbeugte und mir etwas ins Ohr flüsterte – und wünschte mir, mehr hineininterpretieren zu können. Aber ich konnte nicht.
    Und wenn schon? Tat ich mir wirklich bei all dem, was hier gerade ablief, leid, weil irgendein niedlicher Typ nicht auf
die
Art an mir interessiert war? O Gott, das war schlimmer, als langweilig zu sein. Denn es machte mich nun wirklich zu der albernen kleinen Tussi, von der Derek offenbar glaubte, dass ich sie war.
    Und da ich schon einmal bei Derek war – sehr gegen meinen Willen –, hatte ich denn zwischendurch allen Ernstes vergessen, wie er sein konnte? Nein, ich hatte einfach vergessen, wie es sich anfühlte, wenn ich es abbekam. Er und Tori – das Beste, was ich aus dem Ganzen hier mitnehmen konnte, war ein dickeres Fell. Die Alternative war, jeden Rest von Selbstachtung zu verlieren, den ich noch hatte.
     
    Die Nacht war schrecklich. Ich wälzte mich hin und her und driftete von einem Alptraum zum nächsten – erst von Tante Lauren, dann von meinem Dad, dann von Rae. Immer wieder wachte ich auf, keuchte und schwitzte, während alle anderen ringsum fest schliefen. Dann atmete ich in der Kälte langsam und tief und beruhigte mich so weit, dass ich ebenfalls wieder einschlief, woraufhin die Alpträume zurückkehrten.
    Irgendwann fand mein Hirn im Schlaf seine Ablenkung dort, wo es sie auch schon im wachen Zustand gefunden hatte: bei der Leiche in dem hintersten Raum. Diesmal allerdings war es kein objektiver, mitfühlender Versuch, seine Situation nachzuvollziehen. Vielmehr träumte ich, dass ich den armen Geist in seine Hülle zurückzerrte, während er brüllte und mich verfluchte.
    Dann veränderte sich der Traum, und ich war wieder in dem Kriechkeller. Der fürchterliche muffige Gestank nach Tod umgab mich. Ich fühlte Derek hinter mir, fühlte die von seinem Körper ausstrahlende Wärme, als er flüsterte: »Na los, komm schon, Chloe.«
    Komm schon wohin? Ich war gefangen in dem Kriechkeller, während diese Schreckgespenster auf mich zukrochen, kalte Skelettfinger mich berührten, sich mir bei dem Gestank der Magen umdrehte.
    Derek schüttelte mich, und ich versuchte, ihn fortzustoßen, ihm zu sagen, dass er keine Hilfe war …
    »Chloe!«
    Ich wachte schlagartig auf, der Traum verflog. Über mir sah ich in der Dunkelheit grüne Augen schimmern.
    »Derek? Was …«
    Er legte mir die Hand auf den Mund, seine Lippen näherten sich meinem Ohr. »Bist du jetzt wach? Du musst etwas für mich tun.«
    Bei dem drängenden Ton in seiner Stimme verflog meine Schläfrigkeit schlagartig, und ich spähte durch die Dunkelheit zu ihm hinauf. Waren seine Augen fiebrig? Oder war das normal, dieses unheimliche Schimmern wie bei einer Katze im Dunkeln?
    Ich zog seine Hand von meinem Gesicht. »Wandelst du dich wieder?«
    »Was? Nein, alles in Ordnung. Hör einfach zu, okay? Erinnerst du dich an die Leiche in dem anderen Raum?« Er sprach leise und bedächtig.
    Ich nickte.
    »Du musst an diese Leiche denken, okay? An den Geist, der in ihr drin war. Du musst ihn freigeben …«
    »Freigeben? Ich hab ihn nicht beschworen …«
    »Pssst. Konzentrier dich einfach drauf, ihn freizugeben, ohne die anderen aufzuwecken. Kriegst du das hin?«
    Ich nickte. Dann versuchte ich, mich aufzusetzen. Irgendetwas Schweres hielt meine Beine am Boden fest. Ich stemmte mich auf die Ellbogen hoch, aber Derek stürzte sich so schnell auf mich, dass ich nichts weiter sah als seine dunkle Gestalt, die auf mich herunterprallte, die Hände auf meinen Schultern, mich wieder auf den Boden drückte und dort festhielt.
    Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, warum er sich so verhielt, rastete ich aus. Mein Hirn nahm lediglich zur Kenntnis, dass da ein Typ über mir war, mitten in der Nacht, und überließ alles Weitere dem Instinkt. Ich schlug zu, zappelte mit Armen und Beinen, und meine Nägel

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