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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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Geld und den Beleg, beides diskret zusammengefaltet.
    Tori griff nach dem Beleg und faltete ihn auseinander. »O Gott, ist das dein Bankkonto oder dein Collegefonds?«
    Ich nahm ihr den Beleg ab. »Mein Dad überweist mir das Taschengeld. In fünfzehn Jahren kommt da schon was zusammen.«
    »Und du kommst da so ohne weiteres dran?«
    »Warum denn nicht?«
    »Äh, weil du es einfach ausgeben könntest? Nein, Moment. Lass mich raten. Dafür bist du viel zu verantwortungsvoll.«
    »Sie ist intelligent«, sagte Simon.
    »Das ist dein Wort dafür? Ich würde eher sagen …« Sie gähnte.
    Ich merkte, wie meine Wangen heiß wurden.
    »Jetzt reicht’s«, knurrte Derek.
    »Ja, Tori, echt, vergiss nicht, wer dir das Geld für das da gegeben hat.« Simon stieß Toris Einkaufstüte an.
    Toris Kiefermuskeln zuckten. »Zwanzig Dollar für Essen und eine Decke, ich hab’s mir aufgeschrieben. Ich zahle es ihr zurück. Ich bin nämlich auch verantwortungsbewusst. Bloß nicht«, sie zeigte zu meinem Beleg hinüber, »widerlich verantwortungsbewusst.«
    Ich nahm Derek meine Tüte ab. »Und was habt ihr für mich besorgt?« Ich griff hinein. »Ein Rucksack. Zwei Pullover. Dank …«
    Die Pullover entrollten sich, und Tori verschluckte sich an ihrer Cola, als sie zu lachen begann.
    Ich drehte mich sehr langsam und ruhig zu ihr um. »Deine Idee?«
    Sie hob beide Hände. »Wirklich nicht. Ich hab angeboten, was für dich auszusuchen, aber Derek hat nichts davon hören wollen.« Sie wandte sich an ihn. »Kein Wunder, dass du so lang weg warst. Muss wirklich schwierig gewesen sein, dermaßen hässliche Sachen zu finden.«
    Er hatte mir zwei identische graue Kapuzenshirts besorgt, die Sorte Polyesterstoff, die man in den billigsten Discountern findet – die, die wie Plastik schimmert und an der Haut hängenbleibt.
    »Was?«, fragte Derek.
    »Alles in Ordnung. Danke.«
    Tori streckte die Hand nach dem Etikett aus und lachte. »Dachte ich’s mir doch. Das ist eine Jungsgröße.«
    »Und? Die Mädchensachen sind teurer. Ich hab mir gedacht, bei Chloe macht es doch keinen Unterschied.«
    Tori sah mich an. Dann sah sie zu meiner Brust hin und lachte wieder los.
    »Was?«, fragte Derek erneut.
    »Nichts«, prustete sie. »Du bist einfach nur ehrlich, stimmt’s?«
    »Tori?«, sagte Simon. »Halt den Mund. Chloe, wir besorgen dir morgen was anderes.«
    »Nein, Derek hat recht. Die hier werden schon passen. Danke.« Mit heißem Gesicht murmelte ich irgendwas davon, sie anprobieren zu wollen, und flüchtete aus dem Raum.
    Als es draußen dunkel zu werden begann, bereiteten wir uns auf die Nacht vor. Es war erst acht, und Tori beschwerte sich über die frühe Schlafenszeit. Derek teilte ihr mit, es stehe ihr vollkommen frei, wach zu bleiben, solange sie die Batterien der Laterne nicht strapazierte und trotzdem noch mit der Morgendämmerung aufstehen konnte. Wir lebten nicht mehr in einer Welt der Lichtschalter. Wir mussten das Tageslicht nutzen, wenn wir konnten, und schlafen, wenn es nicht zur Verfügung stand.
    Ich hatte damit kein Problem, und für eine Party war ich spätestens jetzt sowieso nicht mehr in Stimmung. Simon versuchte, mich aufzuheitern, was mich nur noch mehr deprimierte. Ich wollte nicht diejenige sein, die aufgeheitert werden musste. Ich wollte alle Rückschläge an mir abprallen lassen und lächelnd wieder auf die Beine kommen.
    Ich konnte nicht aufhören, über Tante Lauren nachzudenken. Ich dachte auch an Rae und meinen Dad, aber am meisten dachte ich an Tante Lauren. Bei Dad und Rae konnte ich mir immerhin noch sagen, dass sie im Augenblick nicht in Gefahr waren. Die Edison Group würde meinen Vater in Frieden lassen, solange er nichts wusste. Und Rae war dieser Computerdatei zufolge ja auf dem Weg zur »Rehabilitation«. Aber bei Tante Lauren fiel mir kein guter Grund ein, warum die Edison Group sie auch nur leben lassen sollte. Jedes Mal, wenn ich die Augen öffnete, rechnete ich damit, ihren Geist vor mir stehen zu sehen.
    Selbst wenn ich es fertigbrachte, mich dazu zu zwingen, mit dem Sorgenmachen aufzuhören, waren eine generelle Besorgnis und ein Gefühl der Enttäuschung die einzige Alternative.
    Ich hatte Derek und Simon gefunden. Ich hatte Simon sein Insulin gebracht. Ich hatte im Alleingang das Geheimnis der Edison Group aufgedeckt. Und was bekam ich dafür? Dass Tori mich bei jeder Gelegenheit heruntermachte und versuchte, mich vor Simon bloßzustellen.
    Wenn es in meinem Leben jemals einen Zeitpunkt gegeben

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