Seelennacht
auf …
»Was hast du letztes Mal getan?«, fragte Derek.
Ich warf ihm einen wütenden Blick zu.
»Ich versuche zu helfen«, sagte er.
»Du würdest mir sehr viel mehr helfen, wenn du einfach den Mund …«
Sein Blick war genauso wütend wie meiner. »Du musst ihn freigeben, Chloe. Dieses ganze Geschrei, irgendwer muss das gehört haben. Du hast ungefähr fünf Minuten, bevor sie zur Tür reinkommen und eine Leiche über den Fußboden kriechen …«
»Und das hältst du jetzt für hilfreich?«
»Ich hab nicht sagen wollen …«
»Raus.«
»Ich meine einfach …«
»Raus!«
Er zog sich zurück. Ich schloss die Augen und stellte mir das Skelett vor, den gefangenen Geist.
Ein knochiger Finger berührte meine Haut, dort, wo das T-Shirt aus dem Hosenbund gerutscht war. Ich fuhr zusammen und riss die Augen auf – um ihn unmittelbar vor mir zu sehen, der schwankende Schädel nur noch Zentimeter von meinem Gesicht entfernt.
Das grobe, spärliche Haar streifte meine Kehle, und ich wimmerte. Das Ding hielt inne. Dann kam der Schädel noch näher. Jetzt konnte ich die Leiche auch riechen, den schwachen Gestank nach Tod, der mir zuvor nicht aufgefallen war, jetzt aber meinen Magen rebellieren ließ, der Gedanke, dass jemand da drin war, gefangen in dem verwesenden …
Er kam näher.
»Halt. B-bitte bleib dort.«
Er hielt inne. Wir standen da, Auge in Augenhöhle, und ich atmete in kurzen schnellen Stößen, versuchte, mich selbst zu beruhigen, ohne den Geruch allzu tief einzuatmen.
Ich wartete auf sein nächstes Manöver, aber er unternahm nichts. Ich hatte ihm gesagt, er sollte stillhalten, und das tat er jetzt.
Ich dachte an die fürchterlichen alten Bilder, die ich im Internet gefunden hatte – Nekromanten, die Armeen von Toten anführten. Ich dachte an das alte Buch über die Macht der Nekromanten, das Dr. Davidoff mir geliehen hatte.
Die Macht, mit den Toten zu sprechen. Die Macht, die Toten zu rufen. Die Macht, die Toten zu beherrschen.
»W-weich zurück«, sagte ich. »B-bitte.«
Er tat es, langsam, mit klappernden Zähnen. Ein gutturales Geräusch stieg aus seiner Brust auf. Ein Knurren.
Ich ging auf die Knie. »Leg dich hin, bitte.«
Er gehorchte und wandte mir sein Gesicht zu. Der Schädel schwankte wie bei einer Schlange von einer Seite zur anderen, und das Knurren wurde zu einem rasselnden Zischen. Ich hörte das Zischen, sah in die leeren Augenhöhlen und spürte blanken Hass. Der Abscheu ging in Wellen von der Leiche aus. Sie gehorchte mir nicht, weil sie es wollte, sondern weil sie keine Wahl hatte. Er war ein versklavter Geist, von einem Nekromanten beschworen, zurückgezerrt in etwas, das kaum noch mehr war als ein Skelett, dazu gezwungen, sich in Bewegung zu setzen, um die Befehle eines anderen zu befolgen.
Ich schluckte krampfhaft. »Es tut mir leid. Ich hatte nicht vor, dich zurückzuholen. Ich habe das nicht gewollt.«
Es zischte. Der Kopf bewegte sich immer noch, als könnte er sich nichts Schöneres vorstellen, als mir zu zeigen, wie es sich anfühlte, tot zu sein.
»Es tut mir so …«
Ich schluckte den Rest hinunter. Der Geist, der da drin gefangen war, wollte keine Entschuldigungen hören, er wollte seine Freiheit. Also schloss ich die Augen und konzentrierte mich darauf, es geschehen zu lassen, was sehr viel einfacher war, seit ich mir nicht mehr vorstellen musste, wie das Ding an meinen Beinen entlangkroch.
Als ich mir vorstellte, wie ich den Geist herauszog, hörte das Geklapper so plötzlich auf, dass ich zwischen den Lidern hindurchspähte, um zu prüfen, ob ich ihm aus Versehen befohlen hatte, still zu sein. Aber das Skelett war vor meinen Füßen zu einem reglosen Haufen zusammengesackt. Der Geist war fort.
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22
Z itternd atmete ich ein, rieb mir übers Gesicht und sah auf. Dereks Gestalt nahm die Türöffnung ein.
»Wenn du meinst, dass uns jemand gehört haben könnte, dann sollten wir unser Zeug nehmen und von hier verschwinden«, sagte ich mit bemerkenswert ruhig klingender Stimme. »Wir können ihn hierlassen, dann wird er gefunden und bestattet.«
Während ich sprach, hatte ich die verrückte Vorstellung, Derek könnte von der Art und Weise, wie ich mit der Angelegenheit fertig geworden war, doch allen Ernstes beeindruckt sein. Aber er stand einfach nur da und betastete den Kratzer auf seiner Wange.
»Das da tut mir leid«, sagte ich. »Ich bin in Panik geraten, als du …«
»Ich hab dir vorhin die Möglichkeit angeboten, anderswo
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