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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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erwischten ihn an der Wange. Er fuhr mit einem Ausruf des Schmerzes zurück.
    Ich rappelte mich auf, soweit meine immer noch eingeklemmten Beine es erlaubten … und jetzt sah ich auch den Grund für das Ganze. Eine Leiche kroch an mir herauf!
    Es war der Körper aus dem Nachbarraum, kaum mehr als ein Skelett, bedeckt mit Kleidung und Streifen von ledrigem Fleisch. Schmierige Haarbüschel hingen an seinem Schädel. Die Augen waren leere Höhlen, die Lippen längst fort, übrig war nur das zähnefletschende Dauergrinsen des Schädels.
    Als ich ein Wimmern ausstieß, hielt das Ding inne und versuchte, den Kopf zu heben. Er schwankte von einer Seite auf die andere, die Augenhöhlen suchten blind, die Kiefer öffneten sich zu einem gutturalen
Gah-gah-gah.
    Ich schrie – ein erstklassiger Schrei, auf den jede Scream Queen stolz gewesen wäre und der im Raum nur so hallte.
    Ich trat und kämpfte, versuchte, mich unter dem Ding hervorzuarbeiten. Derek packte mich unter den Armen und zerrte mich heraus. Er presste seine Hand wieder auf meinen Mund, aber ich konnte den Schrei immer noch ringsum hallen hören. Er knurrte, ich sollte den Mund halten, und als ich zu gehorchen versuchte, erkannte ich, dass es nicht mehr ich war, die da schrie.
    »Was ist das?«, kreischte Tori voller Panik. »Was ist das?«
    Das Aufblitzen einer Taschenlampe. Ein Strahl, der uns allen in die Augen fiel. Und dann begann sie
wirklich
zu schreien, laut genug, dass mir die Ohren davon dröhnten. Die Leiche stemmte sich hoch, der Mund öffnete sich und kreischte zurück, ein schrilles Klagegeräusch.
    Jetzt war auch Simon wach, und als auch er die Leiche sah, stieß er eine ganze Reihe von Flüchen aus.
    »Mach, dass sie aufhört!«, fauchte Derek Simon an, während er mit dem Finger auf Tori zeigte. »Chloe! Beruhig dich. Du musst dich beruhigen!«
    Ich nickte, den Blick wie gebannt auf das Ding gerichtet. Ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, dass es kein »Ding« war, sondern ein Mensch, aber alles, was ich sah, war ein von Fleischfetzen zusammengehaltenes Skelett, ein schwankender augenloser Schädel, klappernde Zähne …
    Ich atmete, ein und aus, zu flach, zu schnell.
    »Beruhig dich, Chloe. Beruhig dich einfach!«
    Sein Tonfall hatte nichts Beruhigendes – es war ein ungeduldiges Schnappen, das mir mitteilte, ich sollte mit dem hysterischen Anfall aufhören und an die Arbeit gehen. Ich machte mich von ihm los.
    »Du musst …«
    »Ich weiß, was ich tun muss«, blaffte ich zurück.
    »Was ist das für ein Ding?«, wimmerte Tori. »Warum bewegt es sich?«
    »Bring sie hier raus«, sagte Derek.
    Während Simon Tori aus dem Raum zerrte, versuchte ich, mich zu entspannen, aber mein Herz raste zu sehr, als dass ich mich hätte konzentrieren können. Ich schloss die Augen, nur um gleich eine Berührung am Fuß zu spüren. Meine Augen öffneten sich jäh, und ich sah Finger, die nach meinem Bein tasteten.
    Ich stolperte nach hinten. Ein von schmutzigen Lumpen bedeckter Arm streckte sich weiter vor. Die Fingerknochen kratzten über das Zeitungspapier, mit dem wir den Boden abgedeckt hatten, als er versuchte, sich vorwärtszuzerren, außerstande, sich aufzurichten. Wie war es möglich, dass er sich auch nur bewegen konnte? Aber er tat es. Genau wie die Fledermäuse, Zentimeter um Zentimeter auf mich zu.
    »Du hast ihn gerufen«, sagte Derek. »Jetzt versucht er …«
    »Ich habe gar nichts gerufen!«
    »Auf irgendeine Art hast du ihn beschworen, und jetzt versucht er, dich zu finden.«
    Ich konzentrierte mich, aber bei der ersten Berührung an meinem Bein machte ich einen Satz zur Seite. Das Ding hielt inne, der Schädel schwankte, dann hefteten sich die leeren Augenhöhlen auf mich, und er drehte sich in meine Richtung.
    »Du musst ihn freigeben«, sagte Derek.
    »Ich versuch’s ja!«
    »Versuch’s mehr.«
    Ich kniff die Augen zusammen und rief mir ein Bild der Leiche ins Gedächtnis. Ich sah den darin gefangenen Geist vor meinem inneren Auge und stellte mir vor, wie ich ihn herauszog …
    »Konzentrier dich«, flüsterte Derek.
    »Mache ich grade. Wenn du mal still sein würdest …«
    Die Leiche erstarrte, als könnte sie mich hören. Dann streckte sie wieder den Arm aus, blind und suchend. Sie fand mein Bein, und die Finger begannen, sich aufwärts zu meinem Knie zu tasten. Ich kämpfte gegen das Bedürfnis an, mich wieder loszureißen. Er musste mich finden, also ließ ich mich finden. Ignorier das und konzentrier dich

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