Seelennacht
nicht zu einem blutrünstigen Monster werden, Derek. Das wirst immer noch du sein, einfach als Wolf eben.«
»Und auf der Grundlage von wie vielen Erfahrungen mit Werwölfen weißt du das?«
»Okay, aber …«
»Du könntest recht haben. Dad hat gesagt, es wäre tatsächlich so – immer noch man selbst, nur in Wolfsgestalt. Aber nach dem, was diese Typen da angerichtet haben? Dem ganzen Rumgespiele mit unseren Genen? Ich habe keine Ahnung, was passiert. Also machst du, dass du wegkommst, wenn der Zeitpunkt kommt, oder du bleibst gar nicht erst in der Nähe.«
»Okay.«
Er sah sich nach mir um, seine Augen glommen fiebrig. »Ich mein’s ernst, Chloe.«
»Ich auch. Du hast recht. Wir wissen nicht, was passiert, und wir können es nicht drauf ankommen lassen. Sobald ich bei dir Klauen und einen Schwanz sprießen sehe, renne ich kreischend zu der Tankstelle zurück.«
»Das Kreischen kannst du weglassen.«
»Mal sehen.«
Wir gingen weiter, bis das Flutlicht des Parkplatzes kaum noch durch die Bäume drang. Der Mond war hinter Wolken verborgen, ich konnte nicht erkennen, ob Voll- oder Halbmond war. Es kam auch nicht drauf an. Die Wandlungen eines Werwolfs hatten mit dem Mondzyklus nichts zu tun. Wenn es passierte, dann passierte es, ob der Zeitpunkt nun ins Programm passte oder nicht.
Derek ging langsamer und kratzte sich durch das Sweatshirt hindurch am Arm. »Hier liegt ein Stamm, falls du dich hinsetzen und abwarten willst. Ich gehe noch weiter rein – ich bin sicher, es ist kein toller Anblick.«
»Ich hab’s schon mal gesehen.«
»Wenn es weitergeht, wird es schlimmer aussehen.«
»Ich komm schon klar.«
Als wir eine kleine Lichtung erreichten, zog Derek das Sweatshirt aus. Unter dem T-Shirt wogten seine Rückenmuskeln, als wären Schlangen unter der Haut gefangen. Ich hatte das in der Tat schon einmal gesehen, ich fand es also nicht weiter verstörend, aber etwas anderes fiel mir in diesem Moment ein.
»Wenn ich’s mir recht überlege, vielleicht kann ich doch nicht zusehen. Denn wenn du nicht gerade Sachen zum Wechseln mitgebracht hast, solltest du dich dieses Mal wirklich ausziehen.«
»Stimmt. Moment.«
Er verschwand im Gebüsch. Ich drehte mich weg. Ein paar Minuten später knackten die Zweige, als er wieder herauskam.
»Kannst gucken«, sagte er. »Hab meine Boxershorts an. Nichts, was du nicht schon gesehen hättest.«
Meine Wangen brannten bei der Erinnerung, was albern war, denn eigentlich sollte es keinen Unterschied machen, ob man einen Typen nun in seinen Boxershorts oder in einer Badehose sieht. Auch Jungs in Unterwäsche hatte ich schon gesehen, sie hatten uns im Sommerlager einen Streich spielen wollen und waren um unsere Hütte herumgerannt, und ich hatte mit den anderen Mädchen gelacht und gepfiffen. Aber keiner von den Jungs im Sommerlager hatte wie Derek ausgesehen.
Ich drehte mich langsam wieder um und hoffte, in der Dunkelheit würde er nicht sehen, dass ich rot geworden war. Aber er hätte es so oder so nicht bemerkt, denn er war bereits auf alle viere gegangen, hatte den Kopf gesenkt und atmete tief ein und aus wie ein Sportler, der sich auf einen Sprint vorbereitet.
Ich schob es auf die Nachricht, die Simon mir hinterlassen hatte, auf die Erinnerung an die Terminator-Zeichnung, die mir noch im Kopf herumging. Aber Derek sah wirklich so aus, wie in der Szene, in der der Terminator zum ersten Mal auftaucht, kauernd und nackt – nicht, dass Derek vollkommen nackt gewesen wäre oder so muskelbepackt wie Schwarzenegger, aber wie ein sechzehnjähriger Schüler sah er auch nicht aus mit seinem muskulösen Rücken, dem gewölbten Bizeps und …
Und das reichte jetzt wirklich. Ich wandte den Blick ab, studierte den Wald ringsum und holte meinerseits ein paar Mal tief Luft.
»Setz dich hierher.« Derek zeigte auf einen freien Fleck neben ihm, wo er sein Sweatshirt ausgebreitet hatte.
»Danke.« Ich setzte mich darauf.
»Wenn es zu übel wird, geh einfach. Ich verstehe das schon.«
»Werde ich nicht.«
Er sah wieder auf den Boden hinunter, die Augen geschlossen, während er ein- und ausatmete. Sein Rücken verkrampfte sich kurz, er zuckte zusammen und streckte sich. Die Atemzüge wurden tiefer.
»Gute Idee. Wenn du dich streckst und die Muskeln …« Ich unterbrach mich. »Okay, ich halte den Mund. Du brauchst keinen Personal Trainer.«
Er stieß ein leises Grollen aus, und ich brauchte einen Moment, um es als Lachen zu identifizieren. »Nur zu. Rede.«
»Wenn
Weitere Kostenlose Bücher