Seelennoete
Welt.
Abernathy ließ Butter in der Pfanne aus und goss etwas Teig hinein. Er konnte sich an weniger als zehn Gelegenheiten in seinem Leben erinnern, zu denen er für jemand anderen gekocht hatte. Sein Leben war recht einsam verlaufen, isoliert und eigenbrötlerisch. Er konnte mit Menschen einfach nichts anfangen, auch wenn er auf den einen oder anderen sehr charmant wirken mochte. Ohne Charme kam man eben nicht weiter. Er wendete den Pfannenkuchen und bräunte die andere Seite. Sam fixierte ihn mit seinen grünen Augen und Abernathy glitt wieder ein Lächeln über die Lippen. Aber diesmal war es nicht aufgesetzt. Das gefiel ihm so an dem kleinen Fischmenschen. Das ehrliche Interesse, das aus seinen Augen sprach. Die Offenheit. Sam heuchelte nicht, er tat niemals etwas, nur, um zu gefallen. Abernathy bemerkte, dass Sam die Kleider trug, die er für ihn gekauft hatte. Es war eine ungewohnte Situation gewesen, als er in einem großen Kaufhaus T-Shirts für seinen zukünftigen Gefangenen aussuchte. Er hatte sogar überlegt, welche Farbe Sam am besten stand und sich dann für Rot und Grün entschieden. Eigentlich idiotisch, aber es hatte ihm auf eine Art Spaß gemacht.
Geschickt ließ Abernathy den Pfannenkuchen auf einen Teller gleiten und streute Zucker darüber. Dann rollte er ihn zusammen und stellte ihn vor Sam hin.
„Und das soll ich jetzt essen?“, fragte Sam und nahm die Teigrolle in Augenschein.
„Probier es wenigstens“, sagte Abernathy freundlich.
Er reichte Sam Messer und Gabel: „Kannst du damit umgehen?“
Sam nahm die Gabel, teilte ein Stück des Pfannenkuchens ab, spießte es auf und führte es zum Mund. Er kaute und Abernathy beobachtete seine Reaktion.
„Schmeckt gut“, urteilte Sam.
„Das freut mich, ehrlich“, sagte Abernathy. Und es freute ihn tatsächlich. Vielleicht hätte es ihm doch gefallen, Kinder zu haben und sie aufzuziehen, Kleidung für sie auszuwählen und Pfannenkuchen für sie zu backen. Den Gedanken hatte er stets verdrängt. Sam nahm die Kleider an, die er gekauft hatte und aß, was er kochte.
Abernathy verbuchte das als Erfolg.
„Bist du denn jetzt noch traurig?“, fragte Abernathy, als Sam nach dem Essen vor seinem leeren Teller saß.
„Ein bisschen. Ich möchte jetzt wieder ins Wasser.“
„Aber natürlich, jederzeit. Kann ich noch etwas für dich tun?“
Sam schüttelte den Kopf.
„Ich möchte ein wenig nachdenken.“
„Das ist nie verkehrt“, sagte Abernathy. „Tut mir leid, dass dich die Wahrheit so getroffen hat.“
„Ich dachte, ich hätte richtige Freunde“, sagte Sam niedergeschlagen und Abernathy sah bereits wieder Tränen in seinen Augen glitzern. Er legte Sam die Hand auf die Schulter.
„Du wirst darüber hinwegkommen. Ich bin da, wenn du mich brauchst.“
Sam nickte und stand auf. Er verließ die kleine Küche und ging durch die Halle zu seinem Wasserbecken.
„Sam!“, rief Laine ihm zu. „Bleib doch mal stehen!“
Sam blieb stehen und sah sie traurig an.
„Was willst du?“, fragte er.
„Was ich will? Was ist denn mit dir los? Ich will natürlich wissen, wie es dir geht!“
„Wirklich?“, fragte Sam und Laine zuckte bei seinem sarkastischen Tonfall zusammen. „Als ich hier ankam, hast du als Erstes gefragt, wo Bill ist und später hast du wieder nach ihm gefragt. Also wozu ist es wichtig, wie es mir geht?“
Er wandte sich ab.
„Das kannst du doch nicht ernst meinen!“, rief Laine.
„Hast du es denn mit mir je ernst gemeint?“ Sam drehte sich wieder zu ihr um. „Oder bin ich nicht gut genug, um dein Freund zu sein, weil … ich kein vollwertiger Mensch bin?“
Laine sah ihn geschockt an.
„Wie kannst du nur so was sagen? Das hat ER dir eingeredet, hab ich recht? Er hat dich völlig verwirrt. Sam, überleg doch mal …“
Sam hob die Hand. „Ich muss ins Wasser. Ich kann mir das wirklich nicht anhören. Nur noch eins: Arbeitet Bill im Aquarium? Ja oder nein?“
„Ja“, sagte Laine schwach.
„Interessant“, sagte Sam. Dann ging er zu dem Metallpodest und stieg die Stufen hinauf.
Laine sank auf den Betonboden und krallte die Hände ins Gitter. Das Ganze war ein einziger Alptraum. Sam hatte noch nie so mit ihr gesprochen. Eigentlich hatten sie nie einen Konflikt gehabt … zumindest keinen, von dem sie wusste. Laine seufzte und konzentrierte sich auf den Schmerz, den Sams Worte in ihr auslösten. Echte Tränen waren genau das, was sie jetzt am Nötigsten brauchte.
Das Diktiergerät lag wieder vor
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