Seelenprinz
Grund, warum sie so schwer bewaffnet war, an leicht zugänglichen Stellen: ein Messer im Halfter am Rücken, eine Pistole an der rechten Hüfte, ein Klappmesser versteckt im Kragen ihres weißen Camouflageparkas.
Männer wie ihre Zielperson schätzten es nicht, ausspioniert zu werden– auch wenn sie ihn nicht töten sollte, sondern nur hier war, um Informationen zu sammeln, würde es schnell gefährlich werden, sollte man sie auf dem Grundstück erwischen, dessen war sie sich sicher.
Sola zog ein Fernglas aus der Innentasche, verharrte reglos und lauschte. Stille. Niemand näherte sich von hinten oder von den Seiten, und nach vorne hatte sie klare Sicht auf die Rückseite des Hauses.
Normalerweise arbeitete sie nachts, wenn man sie für derartige Aufträge engagierte. Aber nicht bei dieser Zielperson.
Drogenbarone erledigten ihre Geschäfte zwischen neun und fünf, allerdings zwischen neun Uhr abends und fünf Uhr morgens, nicht andersherum. Tagsüber schliefen und vögelten sie, also war das die Zeit, in der man ihre Häuser inspizieren und ihre Gewohnheiten kennenlernen konnte, in der man sich ein Bild von ihren Angestellten und ihren Schutzvorkehrungen im Privatbereich machen konnte.
Sie richtete ihr Fernglas auf das Haus und begann mit ihren Beobachtungen. Garagentore. Hintertür. Halbhohe Fenster, hinter denen wahrscheinlich die Küche lag. Und dann kamen die deckenhohen Glasschiebetüren, die über die Hinterseite und die dem Flussufer zugewandte Seite verliefen.
Erdgeschoss, erster und zweiter Stock.
Drinnen rührte sich nichts, soweit sie sehen konnte.
Mann, das war eine Menge Glas. Und je nach Lichteinfall konnte sie teilweise ins Innere blicken, insbesondere in den großen offenen Bereich, der mehr als die Hälfte des Erdgeschosses einzunehmen schien. Das Mobiliar war karg und modern, als wollte der Besitzer nicht zum Herumlümmeln einladen.
Die Aussicht musste spektakulär sein. Besonders jetzt, da die Wolkendecke sich aufgelöst hatte und die Sonne schien.
Sola richtete ihr Fernglas auf den Dachvorsprung und hielt Ausschau nach Überwachungskameras, die sie im Abstand von fünf Metern erwartete.
Volltreffer.
Okay, das war klar. Soweit sie unterrichtet war, hatte sie es hier mit einem extrem argwöhnischen Hausbesitzer zu tun– und Misstrauen schlug sich zumeist in verstärkten Sicherheitsvorkehrungen nieder, inklusive– aber nicht beschränkt auf– Leibwächter, gepanzerte Fahrzeuge und vor allem permanente Kameraüberwachung sämtlicher Bereiche, in denen sich das Individuum aufhielt.
Auch ihr Auftraggeber verfügte über all das und mehr.
» Was zum Henker…«, flüsterte sie und drehte an der Einstellung ihres Fernglases.
Irgendetwasstimmte da nicht. Das Hausinnere war von einem Wellenmuster durchzogen: Die Möbel wogten sanft.
Sola ließ das Fernglas sinken, sah sich um und fragte sich, ob ihr vielleicht die Augen einen Streich spielten.
Nein. Die Kiefern im Wald verhielten sich normal, sie standen still, ihre Zweige hingen unbewegt in der kalten Luft. Sie hob das Fernglas an die Augen und fuhr das Dach des Hauses nach und den Umriss des gemauerten Kamins.
Nichts rührte sich.
Zurück zu den Fenstern.
Sola holte tief Luft, hielt den Atem an und lehnte sich an einen Birkenstamm, um auch sicher nicht zu wackeln.
Irgendwas war da noch immer komisch. Die Rahmen der Glasschiebetüren, die Terrassen und alles andere am Haus wirkten fest und stabil. Doch das Innere schien… pixelig, als hätte man Bilder von Möbelstücken erstellt und zusammengesetzt und diese dann auf eine Art Vorhang projiziert , der wohl einem leichten Luftzug ausgesetzt war.
Dieser Auftrag entpuppte sich als vielversprechender als erwartet. Die Aussicht, einem » Freund« über die Aktivitäten eines Geschäftspartners zu berichten, hatte sie nicht gerade vom Hocker gerissen. Sie bevorzugte echte Herausforderungen.
Aber vielleicht gab es hier mehr zu entdecken, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte.
Schließlich bedeutete eine Tarnung, dass etwas verborgen wurde– und sie verdiente ihren Lebensunterhalt damit, Leuten zu entwenden, was sie ungern hergaben: Geheimnisse. Wertgegenstände. Informationen. Dokumente.
Was, war ihr einerlei. In ein verschlossenes Haus einzudringen, in ein Auto, einen Tresor, eine Brieftasche, und sich zu holen, worauf sie es abgesehen hatte, das allein zählte.
Sie war eine Jägerin.
Und der Mann in diesem Haus, wer er auch sein mochte, war ihre Beute.
10
Blay hatte
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