Seelenprinz
lächerlich.«
Endlich hoben sich die dunklen Augen seines Bruders. Sein Blick war wie immer frei von jeglichem Gefühl oder Zweifeln und all dem unangenehmen Krempel, mit dem sich der Normalsterbliche herumschlug. iAm war auf unheimliche Weise von der Vernunft regiert… ein wenig so wie eine Kobra: wachsam, klug, bereit zum Angriff, aber nicht gewillt, Kraft zu verschwenden, bis sie gebraucht wurde.
» Was?«, stieß Trez hervor.
» Es ist überflüssig, dir etwas zu erklären, was du bereits weißt.«
» Tu mir den Gefallen.« Trez nippte noch einmal vom Rand seines Bechers und fragte sich, warum er sich das freiwillig antat. » Los.«
iAm schürzte die Lippen, wie es seine Art war, wenn er über eine Antwort nachsann. Dann klappte er den roten Deckel seines iPads zu, schob es beiseite, stellte ein Bein neben das andere, beugte sich vor und stützte sich mit den Ellbogen auf die Knie. Seine Oberarme waren so dick, dass sie sein Hemd zu sprengen drohten.
» Dein zügelloses Sexleben gerät außer Kontrolle.« Trez verdrehte die Augen, doch sein Bruder redete weiter. » Du vögelst drei bis vier Frauen pro Nacht, manchmal mehr. Es geht nicht ums Nähren, also komm mir jetzt nicht damit. Du vernachlässigst deine beruflichen Verpflichtungen…«
» Ich handle mit Schnaps und Prostituierten. Meinst du nicht, das ist ein bisschen hochgestochen…«
iAm griff nach seinem iPad und schwenkte es durch die Luft. » Soll ich lieber wieder lesen?«
» Ich sage ja nur…«
» Du hast mich gebeten, zu reden. Wenn dir nicht gefällt, was ich sage, dann beschwer dich nicht, sondern löcher mich einfach nicht mehr.«
Trez biss die Zähne zusammen. Genau das war das Problem bei seinem Bruder. Er war einfach so beschissen vernünftig.
Er sprang auf und durchquerte den offenen Wohnbereich. Die Küche war wie der Rest der Eigentumswohnung: modern, nüchtern, ohne jeglichen Schnickschnack. Deshalb sah er seinen Bruder noch immer aus dem Augenwinkel, als er sich einen zweiten Kaffee einschenkte.
Mann, manchmal hasste er diese Wohnung: Wenn er nicht gerade in seinem Schlafzimmer war und die Tür geschlossen hielt, gab es kein Entrinnen vor diesem Blick.
» Soll ich jetzt reden oder lesen?«, fragte iAm ruhig, als wäre es ihm vollkommen gleichgültig.
Mann, Trez hätte ihm nur zu gern gesagt, er solle seine Nase wieder in die Times versenken, aber das wäre dem Eingeständnis einer Niederlage gleichgekommen.
» Sprich weiter.« Trez pflanzte sich in seinen Sessel und freute sich schon auf Teil zwei der Gardinenpredigt.
» Dein Verhalten ist unprofessionell.«
» Du isst doch auch dein eigenes Essen im Sal’s.«
» Ich brauche aber kein richterliches Kontaktverbot für meine Linguine in Venusmuschelsoße, wenn ich mich am nächsten Abend für das Fra Diavolo entscheide.«
Gutes Argument. Doch irgendwie brachte ihn das fast zur Weißglut.
» Ich weiß, was du da abziehst«, sagte iAm ruhig. » Und aus welchem Grund du es tust.«
» Du bist keine Jungfrau, natürlich weißt du…«
» Ich weiß, was sie dir geschickt haben.«
Trez erstarrte. » Woher?«
» Als du nicht reagiert hast, habe ich einen Anruf erhalten.«
Trez stieß sich vom Teppich ab und wandte sich dem Fluss zu. Scheiße. Er hatte angenommen, er könnte die dicke Luft bereinigen, indem er seinem Bruder eine Möglichkeit zum Dampfablassen gab, um dann zur Normalität zurückzukehren– für gewöhnlich standen sie einander extrem nah, und ihre Beziehung war von grundlegender Bedeutung für ihn.
Er konnte so ziemlich alles verkraften, außer Reibereien mit seinem Bruder.
Leider waren die Probleme, auf die iAm angespielt hatte, eine traurige Ausnahme von diesem » so ziemlich alles«.
» Du wirst die Sache nicht aus der Welt schaffen, indem du sie ignorierst, Trez.«
iAm sagte das ganz sanft– als ob er Mitleid mit ihm hätte.
Trez blickte auf den Fluss und stellte sich vor, er wäre in seinem Club, umgeben von Menschen, während Bargeld Hände wechselte und die Frauen, die bei ihm arbeiteten, im hinteren Teil ihr Ding abzogen. Nett. Normal. Kontrollierbar und bequem.
» Du hast Verpflichtungen.«
Trez umklammerte seine Tasse. » Ich bin sie nicht aus freien Stücken eingegangen.«
» Das spielt keine Rolle.«
Trez wirbelte so ruckartig herum, dass ihm heißer Kaffee auf den Schenkel schwappte. Er ignorierte das Brennen. » Das sollte es aber. Verdammt noch mal, das sollte es! Ich bin doch kein Objekt, das man verschenken kann. Diese ganze
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