Seelenprinz
Abständen von fünfzehn bis zwanzig Metern und schwärmten durch die Bäume aus, immer den Spuren nach, vollkommen geräuschlos.
Eine halbe Meile weiter stießen sie auf den Lesser .
Er lief allein durch den Winterwald in einer Geschwindigkeit, die höchstens ein menschlicher Olympionike über mehr als zweihundert Meter aufrechterhalten konnte. Seine dunkle Kleidung, der Rucksack und der Umstand, dass er genug zu sehen schien, waren weitere Hinweise darauf, dass sie es mit dem Feind zu tun hatten: Die meisten Exemplare des Homo sapiens waren nicht in der Lage, sich bei diesen Lichtverhältnissen und bei diesem Tempo ohne batteriebetriebene Lampe fortzubewegen.
Per Handzeichen dirigierte Rhage die Gruppe in eine V-Formation, die sich um die Spur des Lessers schloss.
Für die Länge eines Footballfeldes beobachteten sie ihn, ohne die Verfolgung aufzugeben, dann schlossen sie ihn ein und umringten ihn von allen Seiten mit gezogenen Waffen.
Der Lesser blieb stehen.
Er war ein neuerer Rekrut, sein dunkles Haar und die dunkle Haut deuteten auf eine mexikanische oder vielleicht italienische Herkunft hin, und er verdiente sich einen Extrapunkt, weil er keine Angst zeigte. Obwohl ihm Schmerzen bevorstanden, blickte er lediglich über die Schulter, wie um sich zu vergewissern, dass er tatsächlich angegriffen wurde.
» Na, wie geht es uns?«, erkundigte sich Rhage gedehnt.
Der Lesser gab sich nicht die Mühe zu antworten, ganz anders als die Kollegen, die den Vampiren in letzter Zeit begegnet waren. Das hier war kein halbstarker Aufschneider mit großer Klappe, der mit der Knarre wedelte. Er war ruhig, berechnend… kontrolliert, die Sorte Feind, die ihre Arbeit interessant machte.
Was nicht unbedingt schlecht war…
Und tatsächlich verschwand seine Hand in der Jacke.
» Keine Dummheiten, mein Freund«, bellte Qhuinn und bereitete sich darauf vor, dem Mistkerl eine Kugel zu verpassen.
Der Lesser hörte nicht auf ihn.
Auch gut.
Qhuinn drückte den verdammten Abzug und streckte den Idioten nieder.
Sobald der Lesser im Schnee landete, erstarrte Blay mit ausgestreckten Waffen. Die anderen taten es ihm gleich.
Während die Sekunden verstrichen, löste keiner den Blick von dem reglos am Boden liegenden Jäger. Keine Bewegung. Auch um sie herum geschah nichts, keine Reaktion. Qhuinn hatte das Ding außer Gefecht gesetzt, und offensichtlich hatte es allein gearbeitet.
Schon komisch, selbst wenn Blay den Schuss zu seiner Linken nicht gehört hätte, er hätte gewusst, dass Qhuinn ihn abgefeuert hatte– alle anderen hätten dem Feind Gelegenheit gegeben, die Sache noch einmal zu überdenken.
Mit einem kurzen Pfiff gab Rhage das Signal, sich dem Lesser zu nähern. Wie ein Wolfsrudel kamen sie aus fünf Richtungen auf ihre Beute zu, flink und sicher, mit vorausgestreckten Waffen. Der Jäger lag vollkommen reglos im Schnee– doch er war nicht tot. Dafür musste man ihm eine Stahlklinge in die Brust rammen.
Dennoch war dies der erwünschte Zustand. Man wollte schließlich, dass sie reden konnten.
Oder sich zumindest dazu zwingen ließen .
Als Blay später darüber nachdachte, was als Nächstes geschah , als er die Geschehnisse wieder und wieder in Gedanken durchging… als er tagelang wach blieb, um zu ergründen, wie es dazu kam und wie man dergleichen in Zukunft verhindern konnte, was man tun konnte, damit so etwas nie, nie, nie mehr passierte… würde Blay an dieses Zucken denken.
Dieses kaum merkliche Zucken im Arm. Ein unwillkürliches Zucken, das durch keinen bewussten Gedanken oder den Willen gesteuert wurde. Nichts Gefährliches. Kein Vorbote für das, was kommen sollte.
Nur ein Zucken.
Doch dann, so schnell, dass es das Auge kaum erfassen konnte, zog der Jäger von irgendwoher eine Waffe. Es war unglaublich– eben lag er noch tot auf dem Boden, und im nächsten Moment verteilte er kontrollierte Schüsse im großen Stil.
Noch ehe die Schüsse verhallten, musste Blay voller Entsetzen mit ansehen, wie Zsadist direkt ins Herz getroffen wurde, mit einer Wucht, die ihn in seiner Vorwärtsbewegung stoppte und seinen Torso nach hinten warf, während seine Arme seitlich in die Höhe schossen und er von den Füßen gerissen wurde.
Von einer Sekunde zur nächsten hatte sich das Blatt gewendet. Niemand verspürte mehr Lust, den Scheißkerl zu verhören.
Vier hoch erhobene Dolche blitzten auf. Vier Vampire sprangen auf den Jäger zu. Vier Arme sausten mit kalten, scharfen Klingen nieder. Vier Stöße, einer nach
Weitere Kostenlose Bücher