Seelenprinz
Mom am Telefon redete.
Doch während sich sein Schweigen in die Länge zog, wurde ihm klar, dass da doch etwas war, worüber er nie mit seinen Eltern gesprochen hatte. Etwas ziemlich Wichtiges .
» Blay? Du machst mir Angst.«
» Es geht mir gut.«
» Nein, das tut es nicht.«
Sie hatte recht.
Vermutlich hatte er sich ihnen gegenüber noch nicht mit seiner sexuellen Orientierung geoutet, weil die wenigsten Leute ihr Liebesleben mit den Eltern diskutierten. Und vielleicht war da auch irgendwo die Sorge, auch wenn es noch so unlogisch war, dass sie ihn danach mit anderen Augen sehen könnten.
Vielleicht– von wegen.
Schließlich hatte die Glymera eine ganz klare Haltung zur Homosexualität: Solange man nicht offen darüber redete und sich mit einem Vertreter des anderen Geschlechts vereinigte, so wie es sich gehörte, wurde man nicht für diese Perversion geächtet.
Klar, denn sich an jemanden zu binden, den man nicht begehrte oder liebte und den man fortwährend hinterging, war ja so viel ehrvoller als die Wahrheit.
Aber wehe man war ein Kerl und wählte offiziell einen männlichen Lebenspartner– so wie er in den letzten zwölf Monaten.
» Ich habe mich von jemandem getrennt.«
Jetzt fehlten seiner Mutter die Worte. » Ach, wirklich?« Die Antwort kam verzögert und klang, als sei sie schockiert, wollte es aber nicht zeigen.
Wenn dich das überrascht, dann warte erst mal ab, was als Nächstes kommt, Mom , dachte er.
Denn, heilige Scheiße, er würde…
Aber Moment, sollte er das wirklich tun, hier und jetzt am Telefon? Sollte er ihr das nicht von Angesicht zu Angesicht sagen?
Gab es in solchen Fällen eine feste Vorgehensweise?
» Ja, ich, äh…« Er schluckte. » Wir waren fast ein Jahr zusammen.«
» Ach… oh je.« Ihr verletzter Tonfall schmerzte ihn. » Ich… wir… dein Vater und ich wussten gar nichts davon.«
» Ich wusste nicht, wie ich es euch sagen sollte.«
» Kennen wir sie? Oder ihre Familie?«
Er schloss die Augen, und seine Brust krampfte sich zusammen. » Ihr… äh… kennt die Familie. Ja.«
» Nun, es tut mir leid, dass es nicht funktioniert hat. Geht es dir gut? Warum habt ihr euch getrennt?«
» Es hat sich einfach totgelaufen, um ehrlich zu sein.«
» Nun, Beziehungen sind wirklich schwierig. Ach, mein Liebster , ich höre dir an, wie traurig du bist. Möchtest du heimkommen und…«
» Es war Saxton. Qhuinns Cousin.«
Über die Leitung hörte er, wie seine Mutter scharf die Luft einsog.
» Ich… ich, äh…« Seine Mutter schlucke hörbar. » Ich wusste nicht… dass, äh, du…«
Er führte im Kopf zu Ende, was sie nicht aussprechen konnte: Ich wusste nicht, dass du einer von denen bist.
Als ob Schwule Aussätzige wären.
Scheiße. Er hätte es nicht sagen sollen. Nicht eine verdammte Silbe zu diesem Thema. Verflucht, warum musste er sein komplettes Leben in den Sand setzen, von einem Tag auf den anderen? Warum hatte er nach dem Scheitern seiner ersten richtigen Beziehung nicht ein paar Jahre warten können, vielleicht ein Jahrzehnt, bevor er sich vor seinen Eltern outete und sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten? Aber nein, er musste ja…
» Hast du uns deswegen nie gesagt, mit wem du zusammen bist?«, fragte sie. » Denn…«
» Vielleicht. Ja.«
Er vernahm ein Schniefen. Und dann ein unterdrücktes Schluchzen.
Ihre Enttäuschung über das Telefon zu hören war einfach unerträglich. Ein erdrückendes Gewicht legte sich auf seine Brust, bis er keine Luft mehr bekam.
» Wie konntest du…«
Eilig schnitt er ihr das Wort ab, denn er wollte nicht, dass die geliebte Stimme diesen Satz zu Ende führte. » Mahmen , es tut mir leid. Sieh mal, ich habe es nicht so gemeint, okay? Ich weiß nicht, was ich rede. Ich bin nur…«
» Was haben wir falsch gemacht…«
» Mahmen , stopp. Hör auf.« Als sie schwieg, überlegte er, ob er Lady Gaga zitieren und ein paar Phrasen wie » Es ist nicht deine Schuld, ihr habt als Eltern alles richtig gemacht« hinzufügen sollte. » Mahmen , ich bin nur einfach…«
An diesem Punkt kamen ihm die Tränen, und er weinte, so leise er konnte. Dass er in den Augen seiner Mutter die Familie enttäuscht hatte, nur weil er er selbst war… über diese Zurückweisung würde er wohl nie hinwegkommen. Er wollte einfach nur leben, offen und unverstellt, ohne sich dafür entschuldigen zu müssen. So wie alle anderen. Er wollte lieben, wen er liebte, er selbst sein… aber die Gesellschaft hatte ihre gefestigten Ansichten,
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