Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
Meinung war, der Tod sei zu erwarten gewesen – was lässt Sie dann glauben, diese Frau müsse nun unbedingt obduziert werden? Lösen Sie erst einmal diesen anderen Fall – das kann doch nicht so schwierig sein!«
»Jeder zweite Mord bleibt unentdeckt, weil wir uns nicht dazu durchringen können eine Obduktion zu beantragen! Und gerade diese Frau hat sicher ziemlich viele Leute gegen sich aufgebracht.«
»Woraus schließen Sie, dass es Mord war? Liegt sie in einer großen Blutlache und klafft eine unübersehbare Wunde in ihrem Schädel? Nein? Was ist los mit Ihnen – sehen Sie jetzt neuerdings Gespenster?«
Sie rangen noch einige Zeit, doch am Ende gab Dr. März nach. Er wusste, Nachtigall hatte ein feines Gespür für solche Dinge und er hatte sich noch nie getäuscht.
»Was ist mit mir – kann ich auch gehen?«, fragte die Schwester. »Ich muss noch weitere Patienten besuchen und es ist schon ziemlich spät.«
Nachtigall notierte sich ihre persönlichen Daten und die Telefonnummer des Arztes und der Leitung des Pflegedienstes. Gerührt beobachtete er aus dem Augenwinkel, wie sie neben der Toten niederkniete und Luise Markwarts Hand in die ihre nahm, als könne sie ihr wieder Leben zurückgeben. Sie murmelte ein paar Worte und streichelte zum Abschluss das Gesicht. Dann bedankte sich und eilte zu ihrem nächsten Einsatzort.
Peter Nachtigall warf einen Blick auf seine Uhr. Schon fast zehn, stellte er missmutig fest, als der Sarg hinausgetragen wurde, und ließ die Wohnung versiegeln.
Mit knurrendem Magen kehrte er zu seinem Wagen zurück.
Gab es einen Zusammenhang bei den Todesfällen? Oder war Frau Markwart doch ein Opfer ihres Alters und ihrer Krankheiten geworden?
35
Schon als er den Wagen in die Einfahrt lenkte, hellte sich seine Stimmung mit einem Schlag auf. Im Erdgeschoss brannte überall Licht, Schatten bewegten sich hinter den Fenstern. Er würde also heute nicht wieder allein mit Casanova zu Abend essen müssen!
Erwartungsvoll schloss er die Tür auf. Laute Musik erfüllte das ganze Haus und ein köstlicher Duft zog ihm in die Nase.
»Jule!«, rief er laut. Aus der Küche waren Stimmen zu hören.
Sie saßen am Tisch und unterhielten sich lebhaft bei einem Glas Rotwein. Emile und Jule. Kalt breitete sich die Enttäuschung in ihm aus und erstickte die zuvor empfundene Freude vollständig.
Aha, für ihn wurde hier gekocht, für den Freund – nicht für den Vater.
»Hallo! Schön, dass du kommst! Sabines Freundin musste früh nach Hause. Ihr Kind ist krank. Da habe ich beschlossen zu kochen«, Jule umarmte ihn und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Wie war’s beim Sport?«
»Zu dick, falsch ernährt, relativ fit – aber das ist ausbaufähig.«
»Na, dann ist doch alles in Ordnung! Und heute gibt es was Leichtes: Gemüserisotto mit Salat.«
»Guten Abend.« Emile schüttelte ihm die Hand und lächelte freundlich.
Er nickte ihm zu.
»Habe ich noch Zeit für eine Dusche?«, fragte er dann und verschwand bedrückt im Bad, als sie fröhlich nickte.
Das lauwarme Wasser erfrischte ihn und spülte einen Teil seiner giftigen Gedanken weg. Wobei die Erkenntnis, sein Verhalten sei einfach nur lächerlich ihm auch nicht weiterhalf. Wie er es auch anging, er wollte seine Tochter nicht verlieren. Schließlich war sie sein Kind, er hatte sie großgezogen, er kannte jede Narbe an ihren Schienbeinen, er ... Hör auf, schalt er sich. Es ist der Lauf der Dinge. Du bist doch auch irgendwann ausgezogen, um auf eigenen Beinen zu stehen. Und Sabine auch. Ob Tante Erna sich auch so schrecklich gefühlt hatte? Er würde sie bei Gelegenheit danach fragen, nahm er sich vor. Und ihm fiel wieder ein, wie liebevoll Tante Erna zu Birgit gewesen war, als er sie ihr vorgestellt hatte. Nie ein böses Wort, es war, als gehörte sie schon immer mit dazu. Plötzlich hatte er ein schlechtes Gewissen. Ob er das bei Emile je auch so sehen könnte? Er rubbelte sich die Haare trocken.
Im November hatte er gemerkt, dass dieser junge Mann seine Jule wirklich liebte – da gab es gar keinen Zweifel. Missvergnügt musste er zugeben, dass Emile damals mindestens genauso gelitten hatte wie er.
Rasch lenkte er seine Gedanken auf den aktuellen Mordfall zurück. Hatten die beiden Todesfälle miteinander zu tun – und war der Tod von Frau Markwart überhaupt ein Mord? Seine Gedanken überschlugen sich, froh, sich dadurch von anderem abwenden zu können. Auch nach acht Monaten waren die tiefen Wunden
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